Steinmeier profiliert sich schon am ersten Tag als politischer Präsident
Seine Antrittsrede enthält eine Attacke gegen Erdogan und Rechtspopulisten. „Mut zur Demokratie“ wird zur Leitschnur im Schloss Bellevue.
Berlin. Für Angela Merkel (CDU) war kein Stuhl frei. Die vier Ehrenplätze vor den Abgeordnetenreihen waren für Alt-Bundespräsident Joachim Gauck und Neu-Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sowie deren Partnerinnen reserviert. Kurz suchte die Kanzlerin nach ihrem Namensschild, um sich dann unter dem Gelächter etlicher Abgeordneter sichtlich irritiert zu ihrem angestammten Platz zu bewegen. Aber auch sonst wurde Merkel bei der Vereidigung Steinmeiers am Donnerstag im Bundestag der Rang streitig gemacht — vom neuen Bundespräsidenten selbst.
Der war nämlich schon nach zwei Minuten seiner Antrittsrede bei der Außenpolitik, konkreter bei der Türkei. Und redete jenen Klartext, den viele bei der Regierungschefin vermissen. „Präsident Erdogan“, rief Steinmeier aus, „Sie gefährden all das, was Sie aufgebaut haben! Beenden Sie die unsäglichen Nazi-Vergleiche! Respektieren Sie den Rechtsstaat und die Freiheit von Medien und Journalisten! Geben Sie Deniz Yücel frei!“ Der ganze Bundestag klatschte heftig, Merkel immerhin auch. Die türkischen Botschaftsvertreter werden es nach Ankara berichten.
Für einen deutschen Bundespräsidenten, der sich herauszuhalten hat aus der Tagespolitik, ist so ein Auftritt ungewöhnlich. Im Arbeitsstab Steinmeiers hatte man lange überlegt, wie hart die Aufforderungen ausfallen sollten, sich am Ende aber für diese Variante entschieden, „weil Erdogan es dahin getrieben hat“, wie es hieß. Viele Beobachter auf der Bundestagstribüne sahen sich hinterher in ihren Erwartungen über den neuen Chef im Schloss Bellevue bestätigt: „Er wird ein politischer Präsident, der nicht säuselt“, sagte etwa Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), und fast wortgleich meinten das auch der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, Prälat Karl Jüsten, und der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger. Berlins Ex-Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hatte schon vorher vermutet, dass Steinmeier außenpolitische Akzente setzen werde und triumphierte nach der Rede: „Na, was habe ich gesagt?“
Doch auch innenpolitisch wagte sich Steinmeier vor, auch hier nicht unbedingt zugunsten Merkels. Das fing schon mit seinem Satz an, dass man um die Zukunft streiten müsse, da sei nichts „alternativlos“. Das ist ein viel kritisiertes Merkel-Wort. Und ging weiter über eine Aufzählung aktueller innenpolitischer Probleme: Die mangelnde Chancengleichheit in der Bildung, die Debatte um die von vielen als unanständig empfundenen Managergehälter, die man nicht als „Neiddebatte“ abtun dürfe, die Vernachlässigung von Dörfern und ländlichen Regionen. Wenn die Gesellschaft die lebendige Debatte über diese Probleme nicht führe, „werden die Populisten sie gegen die Demokratie verwenden“, sagte Steinmeier. Schon als SPD-Fraktionschef hatte er Merkel oft vorgeworfen, die politische Diskussion durch ihre Art des Ausweichens zu lähmen.
Das große Hintergrundthema der Veranstaltung aber war die Bedrohung der Demokratie durch Populisten. Joachim Gauck sagte in seiner Abschiedsrede, Deutschland habe nach dem Krieg ein „Demokratiewunder“ erlebt und müsse dieses wehrhaft verteidigen. Er warnte die Abgeordneten vor Verzagtheit: „Fürchten Sie sich nicht vor den bösen Zwergen und Trollen, die im Internet Hass und Niedertracht erzeugen und auch nicht vor den Scheinriesen, die draußen in der politischen Welt herumspringen.“ Großer Beifall. Die Bundestagsabgeordneten waren fast alle da, die Regierungsbank war komplett und auch in den Reihen des Bundesrates fehlten nur wenige, darunter CSU-Chef Horst Seehofer.
Steinmeier will den „Mut zur Demokratie“ sogar zum Leitthema seiner Präsidentschaft machen. Seine ersten Inlandsreisen sollen ihn an symbolische Orte wie Schloss Herrenchiemsee führen, wo nach dem Krieg der erste Verfassungskonvent stattfand, aber auch zu ehrenamtlichen Initiativen. Parteipolitisch werde er neutral sein, sagte Steinmeier, aber „parteiisch für die Sache der Demokratie und für Europa“.
Steinmeier leiste die Eidesformel mit dem religiösen Zusatz „So wahr mir Gott helfe“. Nach der Antrittsrede gab es unter der Reichstagskuppel einen Empfang für alle Abgeordneten. Auch für die neue „First Lady“ Deutschlands, Elke Büdenbender, war es der erste echte Arbeitstag. Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) blieb es vorbehalten, die Rolle der Ehegattinnen der Bundespräsidenten zu würdigen, auch von Vorgängerin Daniela Schadt. „Sie nehmen ein Amt war, das es in der Verfassung gar nicht gibt, wohl aber in der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit unseres Landes“. Die beiden „ersten Damen“ (Lammert) lächelten dankbar.