Streit um Lebenserwartung von armen Deutschen
Berlin (dpa) - Leben Geringverdiener immer kürzer - im Gegensatz zum Rest der Gesellschaft mit einer immer höheren Lebenserwartung? Darüber ist heftiger Streit entbrannt: Die Linken meinen ja, Bundesregierung und Experten sagen nein.
Damit ist die Auseinandersetzung über die Rente mit 67 neu aufgeflammt.
Das Bundesarbeitsministerium wies am Montag einen Bericht zurück, dem zufolge Menschen mit geringem Verdienst eine zunehmend kürzere Lebenszeit haben. Der Streit entzündet sich an einer Statistik der Rentenversicherung, nach der Geringverdiener 2001 noch durchschnittlich 77,5 Jahre alt wurden und 2010 nur noch 75,5 Jahre.
In Ostdeutschland war die Entwicklung noch dramatischer: Dort sank die Lebenserwartung von 77,9 auf 74,1 Jahre. Über die Zahlen berichtete die „Saarbrücker Zeitung“, die sich auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der Linksfraktion stützt.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund bestätigte zwar die Zahlen, stellte aber zugleich klar, dass diese auf einer so geringen Fallzahl beruhten, dass sie „nicht als Trendaussage interpretiert werden“ könnten.
Ein Sprecher des Bundesarbeitsministerium sagte: „Es gibt keinerlei belastbare Anzeichen dafür, dass der grundsätzliche Trend zu einer höheren Lebenserwartung quer durch alle Einkommensgruppen gebrochen wäre.“ Die in der „Saarbrücker Zeitung“ zitierten Zahlen bezögen sich auf eine statistische Auffälligkeit in einer Sonderauswertung der Rentenversicherung, „die auch noch falsch interpretiert wurde“.
Die genannten Zahlen seien „weder repräsentativ noch aussagekräftig, um belastbare Aussagen über die Lebenserwartung von Niedrigverdienern zu treffen“. Die Daten deckten sich zudem nicht mit den Daten des Statistischen Bundesamtes über eine steigende Lebenserwartung der Bevölkerung über alle Bevölkerungs- und Einkommensgruppen hinweg.
Bekannt ist allerdings die Erkenntnis, dass arme Menschen häufiger krank sind und im Durchschnitt auch früher sterben: Als Gründe dafür werden eine schlechtere Gesundheitsversorgung, aber auch ungesunde Lebensführung genannt.
Der Antwort der Bundesregierung ist weiter zu entnehmen, dass der Anteil der sozialversicherungspflichtig beschäftigten 60- bis 64-Jährigen seit vergangenem Jahr um 3,3 Prozentpunkte stieg. Im März 2010 waren erst 23,1 Prozent dieser Altersgruppe in Beschäftigung, ein Jahr später, im März 2011, waren es 26,4 Prozent. Im Jahr 2000 lag die Quote bei nur 10,9 Prozent. Die Quote nimmt gleichwohl immer noch mit jedem Jahrgang näher zur Rente ab.
„Die Rente erst ab 67 ist nach wie vor nichts anderes als ein gigantisches Rentenkürzungsprogramm“, lautete dazu das Fazit des Linksfraktion-Rentenexperten Matthias Birkwald. Seine Fraktion will daher noch in dieser Woche einen Antrag im Bundestag auf sofortige Aussetzung und schnellstmögliche Abschaffung der Rente mit 67 vorlegen. Die schrittweise Anhebung des Rentenalters startet in knapp drei Wochen.
Wie die Linken forderte auch der Sozialverband VdK, die Rente mit 67 noch zu stoppen. Durch die noch unzureichende Beschäftigungsquote Älterer seien die Voraussetzungen nicht gegeben, kritisierte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher. Die Arbeitgeber verwahrten sich dagegen, zwischen Erkrankungen und Lebenserwartung sowie der Höhe des Arbeitsverdienstes einen Zusammenhang zu konstruieren. Dies sei durch betriebliche Kennzahlen wie Krankenstand, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nicht gedeckt.