Suche nach Normalität: Wulffs „optischer“ Neuanfang

Hannover/Berlin (dpa) - Es war ruhig um Christian Wulff geworden. Nach seinem Abgang als Bundespräsident suchte er ganz offensichtlich die Ruhe - erst im Kloster und dann im Kreise der Familie. Dennoch hat der Rücktritt Spuren hinterlassen.

Zudem gibt es neue Vorwürfe.

Die vergangenen Monate haben Christian Wulff verändert. Der ehemalige Bundespräsident hat unverkennbar abgenommen - einige sprechen von zwölf Kilogramm. Er ist neu gestylt, besonders auffallend die neue Brille und die kürzeren Haare. Aber nicht nur äußerlich haben die fünf Monate seit seinem Auszug aus Schloss Bellevue den Niedersachsen verändert. Öffentliche Auftritte meidet er seither ebenso wie Interviews. Beides gehörte früher zu ihm, beides beherrschte er aus dem Effeff.

Nach dem Rücktritt ist dies alles Tabu. Wulff zieht sich ins Kloster zurück, dann mit seiner Frau Bettina und den Kindern ins kreditfinanzierte Eigenheim in Großburgwedel bei Hannover. Für Journalisten ist er weder über sein Büro noch über seinen Verteidiger erreichbar. Wenn er zu Feiern oder anderen Anlässen eingeladen wird, sagt er ab und bittet um Verständnis.

Auch viele seiner einstigen Weggefährten aus Hannover verlieren zwischenzeitlich den Kontakt zu ihm. Weder auf SMS noch auf Anrufe reagiere er, heißt es. Er habe sich abgekapselt. Andere behaupten, wenige Wochen nach seinem Rücktritt habe Wulff seine Handynummer gewechselt, der Ruhe wegen. Die seit seiner Präsidentschaft ruhende Mitgliedschaft in der CDU hat er ebenfalls nicht wieder beantragt.

Bei einer Gedenkfeier zum gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli ist Wulff wieder da. Nachdenklich sitzt er im Berliner Bendlerblock in der ersten Reihe. Seine Frau Bettina suchen die Fotografen aber vergebens. Wulff ist alleine gekommen.

„Das Thema war für Wulff immer sehr wichtig“, heißt es von einstigen Weggefährten in Hannover. Sie sind nicht überrascht, dass er sich an diesem Tag öffentlich zeigt. Anders die Medien, denn es ist einer der ersten Auftritte nach seinem Rücktritt. Zuvor hatten ihn nur Spaziergänger in Hannover gesehen. Sein neues Outfit konnten Fotografen erstmals auf der Pferderennbahn in Hannover ablichten. Beide male mit Bettina an seiner Seite.

In seinem Berliner Büro versucht er sich, der Arbeit zu widmen. „Regelmäßig im wöchentlichen Rhythmus“, wie es aus gut unterrichteten Kreisen heißt. Weitere Details sind nicht bekannt. Einzig, dass er sich dort auch mit Politikern wie dem tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus trifft. Das Büro steht Wulff vorerst aber nur bis Jahresende auf Staatskosten zur Verfügung. Wie es dann weitergeht, muss der Bundestag noch entscheiden.

Die Botschaft von Wulff ist klar: Nach der „verletzenden“ Berichterstattung über die Affäre soll endlich wieder Normalität einkehren. Wochenlang gab es täglich Berichte über ihn. Angefangen von seinem privaten Hauskredit, den eine befreundete Unternehmergattin gewährte, bis zur Einleitung von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover wegen möglicher Vorteilsnahme in seiner siebenjährigen Amtszeit als niedersächsischer Ministerpräsident.

Wulff könnte, so die Ermittler, politische Entscheidungen mit privaten Kontakten unzulässig vermischt haben. Dabei geht es um einen Urlaub der Wulffs mit dem Filmproduzenten David Groenewold.

Trotz der selbst verordneten Privatsphäre spielt die Wulff-Affäre auch heute immer wieder eine Rolle in den Medien. Insbesondere zu der von Wulff und seinem einstigen Sprecher und Vertrauten Olaf Glaeseker organisierten Lobby-Party Nord-Süd-Dialog kommen immer neue Details ans Licht. SPD, Grüne und Linke vermuten in seinem Engagement bei Sponsoren für die vom Veranstalter Manfred Schmidt organisierte Privatfeier einen Verstoß gegen das niedersächsische Ministergesetz. Gegen Glaeseker und Schmidt ermittelt ebenfalls die Staatsanwaltschaft. Ergebnisse soll es, wie bei Wulff, frühestens im September geben.

Ende vergangener Woche legt sein einstiger politischer Weggefährte, Niedersachsens CDU-Finanzminister Hartmut Möllring, im Landtag nach. Er berichtet von einer Abstimmung 2007 im Bundesrat, bei der Niedersachsen gegen den eigenen Kabinettsbeschluss stimmte. Hierbei ging es um Vorteile für die Versicherungsbranche. Ein Versehen? Kann sein, gäbe es da nicht Briefe vom Vorstand eines niedersächsischen Versicherungsgroßkonzerns mit einer entsprechenden Bitte an Wulff. Ein Geschmäckle bekommt der Fall zudem, weil die Wulffs wenig später ausgerechnet im italienischen Haus eines Versicherungsmanagers Flitterwochen verbracht haben sollen.

Sechs Monate vor der Landtagswahl in Niedersachsen wünscht sich neben Wulff selbst wohl niemand so sehr ein Ende der Affäre wie David McAllister (CDU). Während der Nachfolger in der Staatskanzlei in Hannover deutlich auf Distanz geht und sich nicht zu Wulff äußert, findet Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP) klarere Worte: „Politik darf nicht käuflich sein, nicht einmal der Anschein darf aufkommen.“ Jedoch könne die Landesregierung die offenen Fragen gar nicht beantworten. „Das kann nur Christian Wulff.“