Verhandlung: Zweifel an privatisierter Forensik
Bundesverfassungsgericht muss entscheiden, ob psychisch kranke Straftäter nur von Beamten betreut werden dürfen.
Karlsruhe. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts haben deutliche Bedenken gegen die Privatisierung des Maßregelvollzugs für drogenabhängige oder psychisch kranke Straftäter geäußert. Problematisch sei vor allem, ob Angestellte eines privatrechtlichen Unternehmens Zwangsmaßnahmen gegen Insassen ergreifen dürfen und wann Beamte tätig werden müssen. Das wurde am Dienstag in der mündlichen Verhandlung über die Verfassungsbeschwerde eines Straftäters deutlich. (Az: 2 BvR 133/10)
Der Fall dürfte grundsätzliche Bedeutung für die Frage haben, ob und wieweit der Staat hoheitliche Aufgaben privatisieren darf. Zahlreiche Bundesländer haben in den vergangenen Jahren den Maßregelvollzug auf privatrechtliche Unternehmen ausgelagert; teilweise wurden auch einzelne Bereiche des Strafvollzugs privatisiert. Mit einer Entscheidung wird erst im kommenden Jahr gerechnet.
Im dem Fall hatte ein Mann aus einer Klinik für forensische Psychiatrie in Hessen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Er war nach einem aggressiven Ausbruch von Mitarbeitern des privaten Klinikbetreibers gewaltsam eingeschlossen worden. Nach dem Grundgesetz ist die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse in der Regel Beamten zu übertragen. „Es gibt sensible Bereiche des hoheitlichen Handelns, die der Staat nicht aus der Hand geben darf“, sagte der Anwalt des Beschwerdeführers.
Für das Land Hessen argumentierte Staatsminister Michael Boddenberg (CDU), nur durch die private Rechtsform sei der Verbund von allgemeiner klinischer Psychiatrie und der Unterbringung psychisch kranker Straftäter möglich. Das diene dem fachlichen Austausch. Die private Rechtsform ermögliche mehr Flexibilität beim Einsatz von Personal. Auch sei in Hessen die Dauer der Unterbringung niedriger als sonst in Deutschland — bei dennoch geringer Rückfallquote.
Dies schien die Berichterstatterin des Verfahrens, die Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff, nicht zu überzeugen. Auch die Polizei müsse in 95 Prozent aller Fälle keine Zwangsmaßnahmen anwenden: Dennoch stehe es außer Frage, dass sie hoheitliche Aufgaben wahrnehme. Im Maßregelvollzug würden ständig Freiheitsbeschränkungen in irgendeiner Form stattfinden, „auch wenn es heißt, Sie dürfen ein Joghurt nicht auf dem Gang essen“, so Lübbe-Wolff. Die Anwendung von Zwang sei dabei meist nur deshalb nicht nötig, „weil die Betroffenen es in der Regel von vornherein hinnehmen“.
In NRW gibt es nach Auskunft der Landesregierung zwei Einrichtungen in privater Trägerschaft: Die Christopherus-Klinik in Münster der Alexianer (100 Betten) und eine Klinik in Duisburg (54 Betten), die eine Außenstelle der kirchichen Einrichtung Bethel in Bielefeld ist.