Interview Wahlverhalten im Osten -„Vom Westen oft nicht verstanden gefühlt“

Berlin · Interview Politikexperte Vorländer spricht über die Stimmung und das Wahlverhalten im Osten.

Hans Vorländer ist Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden.

Foto: picture alliance/dpa/Arno Burgi

. Der Politikwissenschaftler Hans Vorländer arbeitet seit mehr als 25 Jahren  an der TU Dresden. Wir sprachen mit dem gebürtigen Wuppertaler über die aktuelle Stimmung im Osten.

Herr Vorländer, Ex-SPD-Chef Matthias Platzeck, ein Ostdeutscher, hat im Vorfeld der Landtagswahlen „demokratiezersetzende“ Tendenzen in den neuen Ländern ausgemacht. Pflichten Sie Ihm bei?

Vorländer: Nein, das ist sehr übertrieben. Aber es gibt am rechten Rand Kräfte, die sich die Unzufriedenheit mit der Demokratie bei vielen Ostdeutschen zunutze machen. Und Tatsache ist auch, dass diese Unzufriedenheit im Osten größer ist als im Westen.

Woran liegt das?

Vorländer: Das hat viel mit den Transformationserfahrungen im Osten seit der Wiedervereinigung zu tun. Denn damit hat sich das persönliche Umfeld für die allermeisten nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch,  sozial und demografisch radikal geändert. Eine Rolle spielt auch, dass viele im Osten zu viel von der Demokratie erwartet haben. Und ein dritter Gesichtspunkt ist die noch aus DDR-Zeiten vorherrschende Einstellung, dass sich der Staat um alles kümmern solle. Das kann und tut ein demokratischer Staat natürlich nicht, und das führt ebenfalls zu Enttäuschungen.

Im Westen gibt es die Auffassung, wir haben genug Geld rüber gereicht und „zum Dank“ dafür wählen die Ossis rechtsradikal. Ist der Vorwurf  berechtigt?

Vorländer: Nein, der Vorwurf  ist absurd. Auch in Ostdeutschland wird Solidarzuschlag gezahlt. Außerdem hat Westdeutschland stark von der ökonomischen Transformation im Osten profitiert, hat den Markt dadurch erweitert. Und was man im Westen auch nicht sieht, ist, dass im Osten die gesamte industrielle Struktur zerschlagen worden ist und damit quasi über Nacht Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen sind. In der Folge sind dann auch bis heute die Einkommen schwächer, das Bruttoinlandsprodukt geringer und die allgemeine Job-Lage prekärer als in den alten Ländern.

Also hat es nicht nur gefühlte, sondern durchaus reale Ursachen,  wenn sich viele Menschen in den neuen Ländern als Bürger zweiter Klasse sehen?

Vorländer: Das hängt immer davon ab, woran die Menschen das bemessen. Legen sie den Maßstab unmittelbar zu Westdeutschland an, dann lässt sich ein Gefälle in vielen Lebensbereichen nicht wegdiskutieren. Wenn die Ostdeutschen  aber in Rechnung stellen, dass in Ost- und Mitteleuropa ähnliche Transformationsprozesse stattgefunden haben, dann geht es ihnen objektiv besser. Gleichwohl: Gefühle lassen sich nicht objektiveren, und man hat sich vom Westen wohl auch oft genug nicht verstanden gefühlt.

Und ein Ventil dafür ist jetzt die verstärkte Wahl der AfD?

Vorländer: Das kann man so sagen, ja.  Politikwissenschaftlich betrachtet haben wir es mit einem Syndrom der Entfremdung zu tun. Das führt dazu, dass man einer Partei die Stimme gibt, von der man glaubt, dass sie nicht für die Lage verantwortlich ist und auch nicht zum etablierten Spektrum gehört. Was die AfD versucht, ist, die Unzufriedenheit der Wendezeit mit der Unzufriedenheit von heute kurz zu schließen, um ihre Parole vom Widerstand zu untermauern. Ob das verfängt, ist noch nicht ausgemacht.

Nach den jüngsten Umfragen ist der Zuspruch für die AfD sowohl in Sachsen als auch in Brandenburg leicht rückläufig…

Vorländer: Das sind Stimmungsmomente, die sich dadurch erklären lassen, dass zumindest den Ministerpräsidenten von CDU beziehungsweise SPD gute Leistungen  zugesprochen werden. Insofern kann der jeweilige Amtsbonus  auf der Ziellinie tatsächlich entscheidend werden.