„Progressive Kräfte verraten“ Yücel kritisiert Türkei-Politik der Bundesregierung
Berlin (dpa) - Der aus türkischer Haft freigekommene Journalist Deniz Yücel hat der Bundesregierung für ihre Unterstützung gedankt, sie aber zugleich für ihre zurückliegende Türkei-Politik kritisiert.
„Grundsätzlich denke ich, dass die Regierung von Angela Merkel alle progressiven und demokratischen Kräfte in der Türkei zweimal verraten hat“, sagte Yücel in einem Interview, das am Sonntag identisch in den Zeitungen „Die Welt“ und „taz“ erschien.
So habe Merkels Regierung einerseits im Jahr 2005 „den Türken klargemacht: Ihr kommt nicht in die EU, völlig egal, was ihr tut“. Damals hätten die Zeichen in der Türkei noch auf Europäisierung gestanden, sagte Yücel. Als zweiten Verrat wertete er Merkels Besuch beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Zuge der Flüchtlingskrise 2015, kurz vor einer wichtigen Wahl. „Das war eine in der internationalen Diplomatie völlig unübliche Wahlkampfhilfe.“ Zudem sei die deutsche Regierung bis zu seiner eigenen Verhaftung die türkeifreundlichste innerhalb der EU gewesen - „auch als die Verhaftungen von Oppositionspolitikern und Journalisten begannen“.
Darüber hinaus ließ Yücel im Interview offen, ob er sich dem nächsten türkischen Gerichtstermin im Juni stellt. „Ich habe die Türkei nicht mit dem Gefühl verlassen: Bloß weg aus dieser ganzen Scheiße hier, ich will nie wieder etwas damit zu tun haben“, sagte er. Er habe auch bei seiner Freilassung keine Eile gehabt, das Land zu verlassen. Im Gegenteil habe er sich geweigert, mit einer Maschine der Bundesregierung „geräuschlos“ ausgeflogen zu werden. Erst einen Tag später habe er mit einem von seiner Zeitung gecharterten Flugzeug das Land verlassen.
Der Korrespondent der Zeitung „Die Welt“ hatte sich am 14. Februar 2017 freiwillig der türkischen Justiz gestellt und saß danach ein Jahr ohne Anklage in Untersuchungshaft. Mitte Februar kam er frei. Die Türkei wirft Yücel wegen von ihm geschriebenen Artikeln „Propaganda für eine Terrororganisation“ und „Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit“ vor. Das Verfahren läuft weiter. Bei einer Verurteilung drohen ihm zwischen 4 und 18 Jahre Haft.