Erster Auftritt des Kandidaten Zeit für . . . Martin Schulz: "Endlich mal kein Studierter"
Der SPD-Politiker aus Würselen startet mit seiner ersten Rede als Kanzlerkandidat vor euphorisierten SPD-Mitgliedern in den Wahlkampf
Berlin. Das haben sie perfekt vorbereitet. Die Plakate "Zeit für...", was nach Startschuss klingt. Und dann folgen Slogans wie "soziale Sicherheit im Alter" oder "gerechte Löhne". Den modernen Kundgebungsaufbau im Berliner Willy-Brandt-Haus, eine Mischung aus Lounge und Amphitheater. Nur einen Namen galt es kurzfristig einzufügen: "Zeit für Martin Schulz" steht nun auf einem Transparent über dem Eingang. Die SPD ist am Sonntag mit ihrem neuen Kanzlerkandidaten in den Wahlkampf gestartet, so euphorisch wie lange nicht mehr.
"Es ist", sagt Kurt Beck, Ex-Vorsitzender, "als habe jemand ein Fenster aufgestoßen". Beck ist einer von 500 Gästen, die Veranstaltung war schnell ausgebucht. Viele junge Menschen sind gekommen. Seit Sigmar Gabriel Schulz am letzten Dienstag zum Spitzenkandidaten und seinen Nachfolger als Parteichef ausrief, verzeichnet die SPD 700 Neueintritte. Am vormittag wird der Personalumbau im Parteivorstand kurz und formlos vollzogen. Schulz ist, berichten Teilnehmer, sehr bewegt. Am 19. März soll er auf einem Sonderparteitag offiziell in beide Funktionen gewählt werden.
Der 61-jährige ehemalige Präsident des Europaparlaments wird beim Betreten der Halle umjubelt, als sei er schon Kanzler. "Jetzt ist Schulz" steht auf einem Plakat, das einer hochhält. Aus Schulz' einstündiger Rede lassen sich drei Kernbotschaften für den Wahlkampf herausfiltern: Erstens sein klarer Machtanspruch. "Stärkste politische Kraft" wolle die SPD werden, und er selbst Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Allerdings sagt Schulz nicht, mit wem er eine Mehrheit bilden will.
Stattdessen startet er schon erste Angriffe gegen Angela Merkel, wobei er nicht persönlich wird. Der Wahlkampf soll nach seinem Willen ausdrücklich fair bleiben. Aber Deutschland müsse "das Weiter so" hinter sich lassen, es müsse ein "Ruck" durch das Land gehen. Es sind Sprüche, die in den 1990er Jahren gegen Helmut Kohl erfunden wurden, als der nach dem Gefühl vieler Leute zu lange regiert hatte.
Die angesichts der Umfragen ziemlich mutigen Aussagen begeistern die SPD-Anhänger. "Es sind Bremsen gelöst worden", erklärt Malu Dreyer, rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin, das Phänomen. "Denn viele wussten, dass Gabriel in der Bevölkerung nicht so ankommt". Auch Saarlands Spitzenkandidatin Anke Rehlinger, die schon im März als erste eine Wahl zu bestehen hat, erhofft sich einen Schub. "Ich nehme eine extrem positive Stimmung wahr".
Schulz will außerdem einen Wahlkampf machen, der auf die "hart arbeitenden Menschen, die sich an die Regeln halten" zielt, auf "die kleinen Leute". Das Thema Gerechtigkeit soll zentral stehen. Dazu will sich der Kandidat offenbar mit seiner persönlichen Geschichte stark einbringen. Kein Abitur, kein Studium, früher mal ein Alkoholproblem, dann Buchhändler und Kommunalpolitiker in Würselen. "Ich bin der Sohn einfacher Leute" sagt er mit Stolz in der Stimme und lässt gleich noch eine Spitze gegen Merkel los:
Ein Bundeskanzler müsse die Alltagssorgen der Menschen selbst mit Empathie spüren können, "sonst ist er oder sie fehl am Platze". Susanne Neumann, bekannteste Putzfrau Deutschlands, gefällt das. Die Gewerkschafterin aus Gelsenkirchen glaubt, dass Schulz bei Ihresgleichen wieder Vertrauen gewinnen kann, besser als Gabriel. Denn Schulz sei "endlich mal kein Studierter".
Die dritte zentrale Botschaft ist der Kampf gegen Rechts, gegen den Nationalismus und gegen den Populismus. Schulz nennt die AfD-Politiker Höcke, Gauland und Petry "eine Schande für die Bundesrepublik" und ruft die Partei dazu auf, "um die Demokratie zu kämpfen". Andererseits will der die AfD-Wähler nicht ausgrenzen. Die SPD müsse auch Anwalt jener Leute seine, "die Ängste haben", etwa vor Kriminalität, sagt er. Deshalb müsse mehr Polizei auf die Straße und für ausländische Straftäter müsse "Null-Toleranz mit Augenmaß" gelten.
Donald Trump allerdings wirft er "unerträgliche Tabubrüche" vor. Falls Schulz Kanzler wird, dürfte sein Verhältnis zum amerikanischen Präsidenten wohl ähnlich schwierig werden wie einst das zu Silvio Berlusconi. Bisher hat Schulz so etwas nie geschadet, im Gegenteil. Der Streit mit dem Italiener hat ihn damals erst berühmt gemacht.