Zuwanderungsdebatte: Scharfe Töne innerhalb der Koalition
Berlin (dpa) - In der Debatte über Freizügigkeit in Europa und Armutszuwanderung aus Bulgarien und Rumänien schlägt die SPD einen rauen Ton gegenüber dem Koalitionspartner CSU an.
„Die CSU hat Europa nicht verstanden. Und offenkundig will sie es auch nicht“, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth. Mit „dummen Parolen“ könne die CSU weder den bayerischen Stammtisch beherrschen noch in Berlin professionell regieren. Die CSU verzichtete am Donnerstag auf eine weitere Eskalation des seit Tagen schwelenden Streits und ging auf die Roth-Äußerungen nicht ein.
„Es geht bei der Debatte um Armutszuwanderung nach Deutschland nicht um politisch rechts oder links, sondern um gerecht oder ungerecht“, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer in München, ohne dabei den Namen des SPD-Politikers zu erwähnen. Die CSU sei nicht gegen die Zuwanderung gut qualifizierter Arbeitnehmer. Es müsse aber Regeln zum Schutz vor Missbrauch und Ungerechtigkeit geben. Scheuer: „Klar ist dabei: Deutschland ist nicht die soziale Reparaturwerkstatt Europas.“ Über all dies hätten sich CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag verständigt.
Roth hatte mit Blick auf eine Beschlussvorlage der CSU-Landesgruppe im Bundestag zur Armutseinwanderung der „Süddeutschen Zeitung“ (Donnerstag) gesagt: „Das ist nicht das Niveau, auf dem die große Koalition arbeiten darf.“ Wenn es Probleme in einzelnen Kommunen gebe, stehe die SPD bereit, zu helfen. Die Klaviatur, auf der die CSU spiele, sei „äußerst gefährlich“.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) ging ebenfalls auf Distanz zur CSU - wenn auch zurückhaltender als Roth. Er betonte in der Zeitung die Segnungen der Arbeitsmarkt-Öffnung in der EU: „Deutschland hat davon ungemein und sicher viel mehr als andere profitiert.“
Viele Kommunen unterstützen sogenannte Armutszuwanderer, obwohl sie nach EU-Recht in den ersten drei Monaten dazu nicht verpflichtet sind. „Wir können eine Familie, die plötzlich in unsere Stadt kommt, nicht einfach auf der Straße stehen und verhungern lassen“, sagte ein Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes der Nachrichtenagentur dpa. Vor allem bei der Bereitstellung von Wohnraum benötigten die Städte dringend Hilfe der Länder und des Bundes.
Zur Sicherung des Lebensunterhaltes zahlen die Kommunen Beträge unterhalb des Hartz-IV-Niveaus, das derzeit bei 391 Euro monatlich liegt. Auch gibt es zum Teil Sachleistungen wie Lebensmittel und Kleidung. Zudem müssen die Kommunen häufig für Krankenkosten aufkommen. Zum Teil fehlen passende Unterkünfte, weil die Familien teilweise mit sechs oder mehr Kindern sehr groß sind. Auch gibt es Klagen aus Städten über Mietwucher.
Der Vorsitzende der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Markus Ferber, wies die Kritik an seiner Partei zurück. Er habe keinerlei Verständnis, „wenn die CSU die Einhaltung des EU-Rechts fordert und dafür in die rechte Ecke gestellt wird“, sagte Ferber der „Augsburger Allgemeinen“ (Donnerstag). Zuwanderer, die keine Arbeit finden und deren Integration nach einer Einzelfallprüfung aussichtslos erscheint, können innerhalb der ersten fünf Aufenthaltsjahre wieder abgeschoben werden.
CDU-Parteivize Armin Laschet ging erneut auf Distanz zu den CSU-Forderungen. Die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien werde „ein Gewinn für unsere älter werdende Gesellschaft sein“, sagte der frühere NRW-Integrationsminister der „Passauer Neuen Presse“ (Donnerstag). Er stellt aber auch klar: „Nur wer einen Arbeitsplatz hat, kann nach Deutschland kommen.“
Der Arbeits- und Migrationsforscher Herbert Brücker geht davon aus, dass nach Fortfall der Zuwanderungshürden zum Jahresbeginn vor allem mehr hoch qualifizierte Arbeitskräfte einwandern. Im WDR verwies er darauf, dass Bulgaren und Rumänen bislang nur unter bestimmten Bedingungen in Deutschland arbeiten konnten — etwa als Saisonarbeiter. Hierin sieht Brücker einen Grund dafür, dass vor allem gering qualifizierte Arbeiter kamen. „Wir haben eigentlich etwas sehr Unvernünftiges gemacht. Wir haben die Menschen ins Land gelassen, haben ihnen aber nicht den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht.“