Irland: Keltischer Tiger stürzt ins Finanzchaos

Die Rezession drängt den Staat an den Rand der Pleite. Ein Rekord-Defizit von elf Prozent droht.

Dublin. Es ist noch gar nicht lange her, klingt aber schon wie ein Märchen aus längst vergangener Zeit: Ein Jahrzehnt lang war Irland die Boom-Region Europas. Investoren aus aller Welt siedelten sich dank niedriger Steuern und gut ausgebildeter Arbeitskräfte auf der grünen Insel an und machten aus dem einstigen Armenhaus Europas das Land mit dem zweithöchsten Pro-Kopf-Einkommen der EU.

Doch die weltweite Wirtschaftskrise stoppte jäh die Erfolgsgeschichte. Aus dem Tigerstaat wurde ein Pleitestaat, der sich im Gegensatz zu den Nachbarn nicht einmal mehr Konjunkturprogramme leisten kann. Nun muss gar ein Nothaushalt her, um das außer Kontrolle geratene Defizit einigermaßen einzudämmen.

Das ist dringend nötig: Für das laufende Jahr hat die Regierung von Ministerpräsident Brian Cowen mit einem Staatsdefizit von rund 9,5 Prozent den höchsten Fehlbetrag aller Mitgliedsstaaten angekündigt. Und nach Schätzungen von Experten dürften es eher elf Prozent werden. Aus Brüssel kam die Vorgabe, die Neuverschuldung bis 2013 wieder unter die Maastrichter Marke von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu senken.

Und während Deutschland ein drittes Konjunkturpaket diskutiert, regiert in Irland der Rotstift. Regierungschef Cowen steht vor der kaum lösbaren Aufgabe, die EU-Vorgaben einzuhalten, das Vertrauen der internationalen Kapitalmärkte wiederherzustellen und auch noch sein Wahlvolk zu beruhigen.

Und dort ist die Stimmung geladen: Bereits Ende Februar gingen rund 120.000 Menschen in Dublin auf die Straße, um ihrem Ärger gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung Luft zu machen.

Binnen weniger Monate war es für die Iren knüppeldick gekommen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise ließ den Immobilienmarkt einbrechen, der Konsum sank, die Arbeitslosigkeit stieg, Investoren stiegen aus. Als erstes EU-Mitglied rutschte Irland im September in die Rezession.

Noch ist unklar, wie sich die irische Krise auf das neuerliche Referendum zum Vertrag von Lissabon auswirken wird. Sollten die Iren die zweite Volksabstimmung im Herbst zu einem Votum über die Regierung machen, droht der EU-Reformvertrag nach dem "Nein" vom vergangenen Juni ein zweites Mal durchzufallen.

Aber es könnte auch sein, dass die Krise dem Vertrag Rückenwind verschafft. Schließlich hat sich die wirtschaftliche Großwetterlage seit der letzten Volksabstimmung ins Gegenteil verkehrt, in der Krise könnten sich die Iren wieder auf die EU besinnen.

Schließlich waren es auch Hilfen aus Brüssel, die einst den Wandel zur Vorzeige-Wirtschaftsnation ermöglichten. Nach den jüngsten Umfragen würde eine Mehrheit der Iren dem Vertrag zustimmen.