Jeder getötete Zivilist stärkt die Sache der Taliban-Kämpfer

Bei dem Luftangriff sollen auch Kinder getötet worden sein. Beweisen lässt sich das kaum.

Kundus. Als sei die Lage nach dem Luftangriff in Kundus nicht kompliziert genug, versuchen nun auch die Taliban, aus dem Vorfall Kapital zu schlagen. Ihr Sprecher forderte am Montag eine unabhängige Untersuchung des Bombardements, damit "solche Massenmorde" künftig nicht mehr vorkämen. Ob der Luftangriff in Nordafghanistan richtig war oder nicht: Für "Massenmorde" sind die Taliban verantwortlich, wie sie bei hunderten Anschlägen mit etlichen getöteten Zivilisten demonstriert haben.

Die Nato-geführte Internationale Schutztruppe Isaf versucht, zivile Opfer zu vermeiden. Das gelingt nicht immer. Dennoch kritisierten in einem für Deutschland ungewohnten Ausmaß Außenminister anderer Länder das Vorgehen der Bundeswehr. Von "Tragödie", "Fehler" und "Bedauern" war die Rede - zu einem Zeitpunkt, als noch gar keine Untersuchungen angelaufen waren.

Auch am Montag lag kein Ergebnis der Isaf-Untersuchung über den Luftangriff vor, aber der Gouverneur des bombardierten Distrikts Char Darah sprach von 135 Toten, darunter viele Kinder. Ob die Zahlen, die er bei Gesprächen mit Dorfbewohnern und Stammesältesten ermittelt haben will, zutreffen, will nun die Zentralregierung in Kabul überprüfen.

Offen ist, wie sie das anzustellen gedenkt. Das Gebiet ist in weiten Teilen unter Taliban-Kontrolle, und die Opfer sind längst beerdigt. Beobachter verweisen darauf, dass die Regierung eine Entschädigung für jeden Toten angekündigt hat - und dass das in Char Darah zu der Versuchung führen könnte, die Opferzahl künstlich nach oben zu treiben.

Jeder getötete Zivilist stützt die Sache der Taliban. Die Opfer befeuern auch Einsatz-Kritiker in den Truppensteller-Nationen. Isaf-Kommandeur Stanley McChrystal hat die Gefahr erkannt: "Wir müssen die Falle vermeiden, taktische Siege zu erzielen - während wir gleichzeitig strategische Niederlagen erleiden, indem wir zivile Opfer oder exzessive Schäden verursachen und damit das Volk verprellen."

Im Inland hagelt es derweil weiter massive Vorwürfe gegen Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), dessen Ministerium in ersten Stellungnahmen teilweise zögerlich, falsch und arrogant auftrat. So hatte Sprecher Christian Dienst berichtet, zwischen der Kaperung und dem Angriff hätten 40 Minuten gelegen. "Um 1.50 Uhr Ortszeit sind die Tankzüge gekapert und um 2.30 Uhr Ortszeit bekämpft worden. Allein die Tatsache mag Ihnen dann in Ihrer eigenen Analyse hier im warmen Sessel in Berlin ausreichen, um zu beurteilen, ob da Stunden dazwischen lagen, um mitten in der Nacht größere Menschenmengen in einer Flussfurt anzusammeln", sagte er. Inzwischen korrigierte das Ministerium die Zeitangaben.

Nun lagen doch Stunden zwischen Kaperung und Angriff. Es muss nicht abwegig erscheinen, dass Zivilisten zu den Tanklastzügen gegangen sind. Vielleicht nur, weil sie sich etwas Benzin erhofften.