Analyse der Arbeit der Großen Koalition: Es hätte schlimmer kommen können

Die Koalition hat viel Mittelmaß produziert – sieht man von der Krisenpolitik ab. Eine Analyse.

Berlin. War die Große Koalition eine Koalition der schrecklichen Superlative? Am Anfang stand die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik: Der Mehrwertsteuersatz stieg von 16 auf 19 Prozent. Und am Ende steht die höchste Neuverschuldung aller Zeiten. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Trotzdem fällt die Schlussbilanz vergleichsweise milde aus.

Abgesehen von einigen Affärchen in der Größenordnung Ulla Schmidts Dienstwagen gab es keine größeren Skandale. Entscheidend aber ist, dass Deutschland die Finanz- und Wirtschaftskrise bislang verhältnismäßig gut überstanden hat. Kurz gesagt: Wir leben noch.

Starten wir also mit dem, was Union und SPD gut gemeistert haben. Obwohl sie sich zu diesem Zeitpunkt kaum noch gegenseitig ertragen konnten, rauften sich die Volksparteien zusammen, als sie im Herbst vergangenen Jahres in den Abgrund blickten, den die Banken aufgerissen hatten. Das Bild oben zeigt die Schlüsselszene dieser Krisenbewältigung. Seite an Seite geben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück ein 1000-Milliarden-Euro-Versprechen ab.

Das war mutig, das war schlau; es war das Beste, was sie tun konnten, weil die Folgen vielleicht desaströs gewesen wären, wenn sie es nicht getan hätten. Was wäre wohl passiert, wenn die deutschen Sparer panikartig die Banken gestürmt hätten, um an ihr Geld zu kommen? Das Bankensystem war in Gefahr und mit ihm das Wirtschaftssystem und auch das politische System.

Es folgten der Rettungsschirm für die Banken, die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes, die beiden Konjunkturpakete inklusive Abwrackprämie. Insbesondere über letztere kann man streiten. Hat sie die Autowirtschaft vor dem Schlimmsten bewahrt? Oder war sie nur ein Strohfeuer, und das Schlimmste kommt noch? Politik heißt, auf der Grundlage unzureichender Informationen zu entscheiden. Insofern hat die Große Koalition ihren Job - nämlich Politik - gemacht.

Überhaupt Steinbrück: Er war der beste und profilierteste Mann im Kabinett Merkel. Dass Frank-Walter Steinmeier Kanzerkandidat wurde und nicht er, liegt allein daran, dass Steinbrück gerne alle spüren lässt, dass er der Beste ist, auch die eigenen Genossen.

Wenig Beifall in den eigenen Reihen erhielt auch Franz Müntefering, als er - da war er noch Bundesarbeitsminister - die Rente mit 67 durchpeitschte, die ein Pluspunkt der Koalition ist, ein Pluspunkt, den die Union sich in diesen Tagen gerne selbst zurechnet. Ähnlich verhält es sich mit der Familienpolitik. Das Elterngeld, der Ausbau der Krippenplätze: All das ist eigentlich ur-sozialdemokratische Politik. Aber weil Ursula von der Leyen nun einmal Familienministerin der CDU ist, streicht sie, und damit Merkel, die Erfolge ein.

"Niemals werde ich zu denen gehören, die das schlechtreden, nur weil Sozialdemokraten dabei waren", lobt die Kanzlerin die Arbeit der Koalition. Das klingt der SPD gegenüber gönnerhaft. Deshalb ist es besonders gemein. In Wahrheit können sich Union und SPD schon lange nicht mehr riechen und hätten die Ehe vielleicht vorzeitig beendet, wäre nicht die Finanzkrise gewesen.

Anfangs noch auf Augenhöhe, konnten die Partner ihre Macht nicht addieren, um Großes zu leisten, sondern sie haben sich ihrer Macht gegenseitig beraubt. Es reichte nur für eine "Politik der kleinen Schritte", wie Merkel es einmal verniedlichend nannte.

Heraus kamen dabei kein Umweltgesetzbuch, kein Bahn-Börsengang und keine Reform der Hartz-IV-Verwaltung. Geboren wurde dafür ein Zwitterwesen namens Gesundheitsreform, das nicht Kopfpauschale und nicht Bürgerversicherung ist. Hier hat die Große Koalition ihre größte Chance verpasst.