Kanzlerkandidatur: Russen setzen voll auf Steinmeier
Moskau hofft auf eine Rückkehr des „goldenen Schröder-Zeitalters“ mit dem designierten SPD-Kandidaten.
Moskau. Der Krieg im Südkaukasus und die Reaktionen des Auslands gaben Russlands Medien zuletzt wenig Anlass, Erfreuliches aus dem Westen zu berichten. Einzig die Nominierung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier zum Kanzlerkandidaten der SPD stieß bei den Kommentatoren auf ein positives Echo, das bei manchen sogar in Begeisterung mündete. Der Freund Moskaus lasse auf eine Rückkehr des "goldenen Gerhard-Schröder-Zeitalters" hoffen, schwärmt die kremltreue Tageszeitung "Iswestija".
Russlands Kommentatoren sind sich in Sachen Steinmeier einig. Der SPD-Politiker sei in seiner Haltung gegenüber Russland deutlich "ausgewogener" als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), heißt es in fast allen Artikeln.
Die russische Öffentlichkeit glaubt, dass ein Bundeskanzler Steinmeier deshalb ein möglicherweise drohendes neues Wettrüsten zwischen Ost und West eher verhindern könnte. "Das dürfte ein starkes Argument in den Augen der deutschen Wähler sein", hofft die Zeitung "Nesawissimaja Gaseta". Immerhin habe sich Steinmeier als Außenminister eine ähnlich hohe Popularität erarbeitet wie Merkel, schreibt das Blatt.
"Die Schröder-Linie führt zum Kanzler-Sessel", titelt die Wirtschaftszeitung "Kommersant". Dabei fürchten Moskauer Deutschland-Experten, dass Steinmeier die Nähe zum Altkanzler und erklärten Russland-Freund Gerhard Schröder im Wahlkampf schaden könnte. "Im Gegensatz zu Schröder übt Steinmeier aber auch in der Öffentlichkeit scharfe Kritik an Russland, zum Beispiel beim Thema Demokratie", sagt Wladislaw Below, Direktor des Zentrums für Deutschlandforschung am Europainstitut der Akademie der Wissenschaften.
Das Verhältnis der russischen Führungsspitze zu Merkel gilt als problematisch, wenngleich der Kreml die Bundesregierung auch weiterhin als wichtigsten Verbündeten innerhalb der EU sieht. Zwar spricht Merkel seit ihrer Jugend in der DDR - im Gegensatz zu Steinmeier und Schröder - fließend Russisch.
Doch gerade beim Streitthema autoritäre Tendenzen in Russland ging sie wiederholt in die Offensive. Das jüngste Treffen mit Medwedew in Sotschi, wenige Tage nach dem Südkaukasus-Krieg, verlief in eisigem Tonfall, auch weil von deutscher Seite das militärische Vorgehen gegen Georgien als "unverhältnismäßig" kritisiert worden war.
Bereits mit Medwedews Vorgänger Putin hatte Merkel, wie beim EU- Russland-Gipfel an der Wolga im Mai 2007, so manchen Strauß ausgefochten. Dabei waren beide Seiten aber nie so weit gegangen, dass sie einen Bruch in den Beziehungen riskierten. Im Gegenteil: Merkel durfte als erster ausländischer Regierungschef dem Putin-Nachfolger Dmitri Medwedew nach dessen Wahl im März in Moskau persönlich gratulieren.
Das Bild Steinmeiers in Russland wird von harmonischeren Auftritten geprägt. Die Medien erinnern an seine mehrtägige Erkundungstour durch das Riesenreich jenseits von Moskau oder den symbolischen Knopfdruck für ein Gasprojekt gemeinsam mit Medwedew, nachdem Berlin und Moskau kurz zuvor noch über den Verlauf der russischen Parlamentswahl gestritten hatten.
Bei aller Begeisterung für Steinmeier schätzen russische Medien die Chancen des SPD-Politikers auf einen Wahlerfolg allerdings gering ein. Im Herbst 2009 werde es für die Deutschen wohl weniger um die Frage gehen, wer der nächste Bundeskanzler wird, sondern darum, ob sich die SPD in der Regierung halten kann, schreibt "Iswestija".