Katholiken bewerten ihre Amtskirche als weltfremd

Bei Themen wie Sexualität, Ehe und Familie denkt eine Mehrheit ganz anders als die Würdenträger.

Köln. Im Erzbistum Köln ist Freitag etwas passiert, das bis vor kurzem wohl die wenigsten für möglich gehalten hätten: Die katholische Kirche hat gleichsam amtlich festgestellt, dass ihr das Volk den Gehorsam aufgekündigt hat. Ranghohe Vertreter des Bistums beriefen eine Pressekonferenz ein und erklärten dort: Die kirchliche Lehre zu Ehe und Familie wird von den Gläubigen nicht mehr geteilt.

Das größte deutsche Bistum hatte sich im Laufe der vergangenen vier Wochen im Auftrag von Papst Franziskus um ein Stimmungsbild bemüht zu Themen wie Scheidung, vorehelicher Sex, Verhütungsmittel und homosexuelle Partnerschaften. Das Ergebnis: In allen Punkten denkt die Mehrheit der Gläubigen offenbar völlig anders als die Kirche es lehrt. „Insgesamt wird die Lehre der Kirche als welt- und beziehungsfremd angesehen“, stellt das Erzbistum fest.

Die Umfrage ist nicht repräsentativ, das Erzbistum vermutet jedoch, dass das Ergebnis die Einstellung der kirchlich gebundenen, aktiven Katholiken widerspiegelt. Mehrere Tausend Gläubige hätten sich in die Befragung eingebracht, sagte Monsignore Markus Bosbach, Leiter der Hauptabteilung Seelsorge.

Der Erzbischof, Joachim Kardinal Meisner, habe die Ergebnisse an die Bischofskonferenz weitergeleitet. Die Befragung dient der Vorbereitung der 2014 geplanten Bischofssynode im Vatikan zum Thema Familie.

Nach Einschätzung der Gläubigen leben 80 bis 100 Prozent aller katholischen Paare vor der Heirat schon zusammen, teilweise jahrelang. Das Erzbistum konstatiert auch eine „zunehmende Offenheit für alle möglichen Formen von Partnerschaft (homosexuelle Verbindungen, Patchwork-Familien)“. Wiederverheiratete Geschiedene fühlten sich von der Amtskirche ausgegrenzt.

Auch könnten viele Gläubige nicht verstehen, dass sich die Kirche der Öffnung der standesamtlichen Ehe für Homosexuelle widersetze. Das Erzbistum schreibt: „Die Christen vor Ort und viele Seelsorger und pastorale Dienste drängen nach einer pastoralen, menschlichen Lösung, damit homosexuelle Paare mit oder ohne eingetragene Partnerschaft in den Gemeinden anerkannt werden können.“

Die kirchlichen Verbote bei der Empfängnisverhütung werden „von den Gläubigen nicht verstanden und nicht angenommen“. Besonders das Verbot von Kondomen werde nicht akzeptiert.