Krieg in Afghanistan steht auf der Kippe

Bislang geheime Dokumente zeigen, dass der Einfluss von USA und Isaf zurückgeht.

Washington. US-Präsident Barack Obama hat in Afghanistan vielleicht ein größeres Problem als bisher angenommen: Die radikal-islamischen Taliban gewinnen am Hindukusch weiter an Boden, während der Einfluss des US-Militärs und der internationalen Isaf-Schutztruppe nachlässt. Fast 92 000 bisher geheime Dokumente, größtenteils in Form von Truppenmeldungen, hatte die Internetplattform "Wikileaks" Medien zugespielt. Die Kernaussage der Daten: Knapp neun Jahre nach dem Beginn des US-Militäreinsatzes in Afghanistan ist die Sicherheitslage prekär.

Vor allem im Norden des Landes, wo deutsche Soldaten im Einsatz sind, haben die Taliban ihre Position erkennbar gestärkt. Sie genießen offenbar sowohl die Unterstützung der afghanischen und pakistanischen Regierung als auch der Geheimdienste.

Militärexperten vergleichen die Enthüllungen bereits mit den "Pentagon Papieren", die 1971 an die Öffentlichkeit gelangten und in den USA sowie weltweit eine massive Welle von Protesten gegen den Vietnamkrieg auslösten.

Wikileaks berichtet unter anderem von einer 300 Mann starken US-Sondereinheit, die auf die Tötung von Taliban-Führern spezialisiert ist. Sie wurde im Sommer 2009 im deutschen Feldlager in Masar-i-Sharif stationiert. Von dort aus soll sie ihre Operationen durchgeführt haben. Dabei, so heißt es, seien auch Zivilisten getötet worden.

Der Bundeswehr wird vorgeworfen, weitgehend unvorbereitet in den Krieg gezogen zu sein. Wesentlich schlechter schneiden hingegen die US-Streitkräfte ab. Sie waren demnach an 144 bisher nicht gemeldeten Angriffen beteiligt, bei denen fast 200 Zivilisten ums Leben kamen. Auch waren sie für Angriffe mit Luftabwehrraketen, mit denen einfache Taliban-Kämpfer ausgestattet waren, deutlich anfälliger als bisher angenommen.

Die US-Regierung verurteilte die Veröffentlichung der Truppenmeldungen aufs Schärfste. James Jones, Präsident Obamas Nationaler Sicherheitsberater, reagierte empört auf die Vorgehensweise der Website. Fieberhaft sucht die Regierung nun nach der undichten Stelle im US-Militärapparat. Erste Verdachtsmomente richten sich bereits gegen Stanley McChrystal, der Ende Juni als Leiter der Isaf-Truppe entlassen worden war, weil er öffentlich über Mitglieder von Obamas Kriegskabinett hergezogen hatte.