NRW-Landtag Giftige Töne in der Etat-Debatte

Regierung und Opposition im NRW-Landtag rechnen deftig miteinander ab.

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und FDP-Fraktionschef Christian Lindner gingen im Landtag nicht zimperlich miteinander um.

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Düsseldorf. Die Debatte um den Landeshaushalt 2017 im NRW-Landtag hat sich schon viele Stunden hingezogen, da wird sie plötzlich richtig giftig. Ein sichtlich zorniger FDP-Fraktionschef Christian Lindner tritt zum zweiten Mal an diesem Tag ans Rednerpult, weil er nicht auf sich sitzen lassen will, was Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ihm kurz zuvor an den Kopf geworfen hatte. Unter Anspielung darauf, dass Lindner ein Mandat im Bundestag anstrebt, hatte sie gesagt: „Ich weiß, Sie sind nur auf dem Durchflug, aber ich finde, Sie sollten dieses Haus ernst nehmen.“

Warum Lindner das Parlament bei seinem, so Kraft, „außerordentlich undifferenzierten, oberflächlich platten und in Teilen populistischen Redebeitrag“ nicht ernst nehme, begründet sie damit, dass er mit falschen Fakten hinsichtlich Arbeitslosigkeit, Investitionen in Grundschulen oder Kriminalität im Land arbeite.

Lindner kontert, dass Kraft das systematisch so mache, wenn es ihr nicht gefalle, was andere an Fakten vortragen. Dann spreche sie dem Anderen einfach die Kompetenz ab. „Das ist Zeichen Ihres Charakters“, schiebt er nach. Lindner zeichnet dieses Bild: Die Wirtschaft wachse nicht mehr, die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sei schwach. Nur bei Schulden, Staus und Straftaten erziele das Land bundesweite Rekorde.

Um Fakten und deren Auslegung geht es auch in einem Disput, den Kraft mit CDU-Oppositionsführer Armin Laschet ausficht. Der zitiert eine Studie, wonach im Jahr 2015 in NRW 542 000 Kinder von Hartz IV lebten — und damit 36 500 Kinder mehr als noch im Jahr 2011. Wie das denn zur Parole „Kein Kind zurücklassen“ der Ministerpräsidentin passe. Kraft lässt sich von ihrem Mitarbeiterstab Zahlen zutragen, die durchaus eine Erklärung sein können. 2010 habe es im Land 38 000 Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien gegeben. 2016 seien es mehr als 147 000 gewesen. Importierte statt hausgemachter Armut also.

Zahlen, Fakten, Interpretationen — so geht das stundenlang in der Debatte über den Haushaltsplan, die traditionell zur Abrechnung mit der Regierung genutzt wird, diesmal aber auch schon deutlich im Zeichen des nahenden Wahlkampfs steht (im Mai 2017 wird ein neuer Landtag gewählt). Es geht um die üblichen Themen wie schwache Wirtschaftszahlen und Schulpolitik. Beim Thema Turbo-Abi attackiert Laschet Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) scharf, weil diese einen Tag zuvor in ihrer Funktion als designierte Grünen-Spitzenkandidatin gesagt hatte, dass man „jedem Kind eine an seine individuellen Voraussetzungen angepasste Schulzeit ermöglichen“ solle. Als Schulministerin habe sie aber doch betont, das Gespräch über G8/G9 am Runden Tisch mit den Beteiligten zu suchen. Laschet: „Ich stelle mir die Frage: Wie viele Personen sind Sie und wie lange noch?“

Um Kraft in einer anderen Angelegenheit vorzuführen, führt Laschet ein Zitat von ihr an: „Bei den Paralympics wird Inklusion gelebt“, habe sie gesagt. Weil er das selbst nicht schöner kommentieren könne, liest Laschet daraufhin einen Zeitungs-Leserbrief vor: „Ähh, Nein! Die Paralympics, so lobenswert dieser Wettbewerb ist, sind absolut exklusiv. Inklusiv wäre, wenn bei Olympia oder den Paralympics Behinderte und Nicht-Behinderte in den gleichen Disziplinen gegeneinander oder miteinander antreten würden. Wenn die Ministerpräsidentin nicht weiß, was Inklusion bedeutet, dann wird die eine oder andere Entscheidung in der Landespolitik schon klarer.“

So unterhaltsam so etwas klingt, so sehr hat man doch den Eindruck, dass Opposition und rot-grüne Regierung über zwei ganz unterschiedliche Bundesländer reden. Die Opposition beschreibt das Land als eine von Zerfall und Ruinen gekennzeichnete Landschaft. Und Rot-Grün preist die eigenen Erfolge — von der Abschaffung der Studiengebühren, dem Schaffen von Kita-Plätzen bis zur Durchsetzung des Mindestlohns. So zu tun, „als wäre dieses Land seit 2010 auf dem totalen Niedergang, das ist Wasser auf die Mühlen der Populisten“, mahnt Kraft die Opposition. „Wir reden das Land nicht schlecht, aber es hat eine schwache Regierung“, kontert Christian Linder.

Grünen-Fraktionschef Mehrdad Mostofizadeh appelliert vor diesem Hintergrund eindringlich „an die Verantwortung, die wir alle gemeinsam tragen. Lassen Sie uns mit der Art unseres Wahlkampfs dafür sorgen, dass es zu keiner Verfestigung des Populismus in Deutschland kommt — denn sonst werden wir die schlimmen Geister nicht wieder los.“ Im Wahlkampf müsse die Demokratie gewinnen und nicht verlieren. Ein Appell, der jedenfalls an diesem Tag nicht so recht verfangen will.