NRW Kyrill, sechs Holzverträge und viele offene Fragen

Zehn Jahre nach dem verheerenden Orkan will die Klausner-Gruppe vom Land NRW Schadensersatz von mehr als 100 Millionen Euro.

Nach „Kyrill“ gab es jede Menge Sturmholz. (Archivfoto)

Foto: Pierre-Claude Hohn

Düsseldorf. Andreas Schulte kennt sich mit Holz aus. Er ist Leiter des Waldinstituts der Universität Münster. Schulte verfasste 2008 ein vernichtendes Gutachten zu den Holzverträgen, die der damalige NRW-Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) nach dem Orkan Kyrill zu verantworten hatte. Schultes Urteil: Die in den Verträgen zugesagten Holzmengen kann das Land nie und nimmer liefern. Deshalb besteht die Gefahr, dass das Land Schadensersatzforderungen erfüllen muss, die die Marke von 100 Millionen Euro übersteigen. Ob es so kommt, ist bis heute nicht klar. Ein Urteil des Landgerichts Münster steht noch aus.

Vor genau zehn Jahren tobte sich der Orkan Kyrill über Europa aus. NRW war besonders stark betroffen. Zehntausende Bäume lagen gefällt in den Wäldern. Uhlenberg, zuständiger Umweltminister der damaligen schwarz-gelben Landesregierung, fürchtete, dass das Holz durch Fäulnisbildung wertlos werden könnte. Seine Landesforstverwaltung stellte Kontakt zur Tiroler Klausner-Gruppe her, einem der größten holzverarbeitenden Unternehmen Europas. Klausner forderte allerdings einen Vertrag, der weit über die Kyrill-Schäden hinausreichte. Bis 2014 sollte NRW pro Jahr mindestens 500 000 Festmeter Fichtenstammholz liefern. Gegen den Widerstand des Landesbetriebs Wald und Holz wurde die Vereinbarung im April 2007 geschlossen.


Die umfangreichen Lieferungen nach Österreich riefen die NRW-Holzindustrie auf den Plan. Ihrer Kritik gab Uhlenberg nach. Mit fünf Sägewerken wurden weitere Lieferverträge über jeweils 100 000 Festmeter Holz aus NRW-Wäldern geschlossen. Einige Verträge hatten eine Laufzeit bis 2014.

Die genauen Umstände dieser Vereinbarungen liegen bis heute im Dunklen. Klar war aber immer, dass das Land die zugesagten Mengen nicht würde liefern können.

2008/2009 kam dem Land die weltweite Finanzkrise zu Hilfe. Klausner geriet in Zahlungsschwierigkeiten und konnte kein Holz mehr abnehmen. Der Vertrag wurde gekündigt — allerdings nur mündlich. Das Land lieferte nichts mehr. Zwischen 2007 und 2009 gingen insgesamt 132 000 Festmeter an die Österreicher. Als Klausner die Krise überwunden hatte, verklagte die Firma das Land auf Lieferung des Holzes. Das Landgericht Münster stellte 2012 fest, dass die Kündigung des Vertrages schriftlich hätte erfolgen müssen. Das Oberlandesgericht Hamm bestätigte diese Auffassung.

Dies wollte der neue NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne), seit 2010 im Amt, nicht hinnehmen. Sein neues Argument: Der Klausner-Vertrag verstößt gegen EU-Beihilferecht. Das Land klagte beim Landgericht Münster. Das wiederum wandte sich an den Europäischen Gerichtshof. Und der entschied Ende 2015, das rechtskräftige nationale Urteile EU-Beihilferecht nicht außer Kraft setzen können. Auf Basis dieses Urteils muss das Landgericht Münster nun eine endgültige Entscheidung fällen. Wann das der Fall sein wird, ist unklar.

Klausner fordert vom Land NRW 56 Millionen Euro Schadensersatz und die Lieferung von rund 1,5 Millionen Festmeter Fichtenstammholz. Wie das Remmel-Ministerium mitteilte, sind alle mit den NRW-Sägewerken geschlossenen Verträge nicht mehr in Kraft. Sie hätten „niemals in der Form, in dem Umfang und mit den Konditionen abgeschlossen werden dürfen“, so Frank Seidlitz, Sprecher des Umweltministers. Die so genannten Uhlenberg-Verträge seien eine „gewaltige finanzielle Altlast der Vorgängerregierung“ und eine „Gefahr für den Staatswald in NRW“.