Der Anschlag von Berlin Gutachter oder U-Ausschuss: Parteien in NRW streiten um Fall Amri
Welche Fehler haben die Behörden bei der Beobachtung von Anis Amri gemacht? Wer trägt die Verantwortung für Versäumnisse? In NRW werden dabei auch Positionen für den Wahlkampf abgesteckt.
Düsseldorf. Vier Monate vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wird der politische Streit um den Terrorfall Amri immer heftiger. Die CDU lehnte am Montag zusammen mit den Piraten die von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) vorgeschlagene Einsetzung eines Gutachters ab, der mögliche Versäumnisse der Behörden in NRW durchleuchten soll. Es sei Aufgabe der Landesregierung, die bereits jetzt bekannten Verfehlungen „ehrlich zu benennen“. Andernfalls sei ein Untersuchungsausschuss des Landtags das geeignete Instrument.
Die Landesregierung warf den beiden Oppositionsfraktionen vor, „eine schnelle Aufklärung der Abläufe“ zu blockieren. Das Nein zeige, dass CDU und Piraten nicht an Aufklärung interessiert seien, sondern „parteipolitische Geländegewinne im Vorwahlkampf erzielen wollen“, sagte der Chef der Staatskanzlei, Franz-Josef Lersch-Mense. Ein unabhängiger Gutachter werde den Fall Amri auf jeden Fall durchleuchten. Eine Entscheidung über die Einsetzung solle in Abstimmung mit den rot-grünen Regierungsfraktionen noch in dieser Woche fallen.
Der 24-jährige Tunesier Anis Amri hatte vor dem Berliner Attentat mit zwölf Toten längere Zeit in NRW gelebt. Aus einer am Montag dem Bundestagsgremium zur Kontrolle der Geheimdienste (PKGr) vorgelegten Chronologie geht hervor, dass sich die Behörden seit Ende 2015 nahezu wöchentlich mit dem Tunesier befassten. Er wurde als islamistischer Gefährder eingestuft, fiel mehrfach als Krimineller auf, wurde als Asylbewerber abgelehnt und wurde dennoch nicht in Abschiebehaft genommen. Zeitweise galt er als abgetaucht.
Begleitet wird die Diskussion von einer Debatte um den fehlerhaften Datenabgleich zwischen Justiz- und Sicherheitsbehörden. Denn trrotz der verdeckten Überwachung, einer vorläufigen Festnahme und vergleichsweise genauer Kenntnis mussten Ermittlungen der Duisburger Staatsanwaltschaft wegen Sozialbetrugs gegen Amri eingestellt werden, weil die Behörde seinen Aufenthaltsort nicht kannte. „Wir hätten das Verfahren sofort wieder aufgenommen, wenn uns der Aufenthaltsort bekannt geworden wäre“, sagte Oberstaatsanwalt Detlef Nowotsch der „Rheinischen Post“ (Dienstag). Neben einer Untersuchungshaft hätten dem Tunesier bei nachgewiesenem Tatvorwurf bis zu fünf Jahren Haft gedroht.
Die Opposition in NRW wirft Innenminister Ralf Jäger (SPD) vor, für Versäumnisse der Behörden verantwortlich zu sein. Die FDP hat Kraft aufgefordert, Jäger abzusetzen. In einem gemeinsamen Brief der Fraktionschefs von CDU und Piraten, Armin Laschet und Michele Marsing, an Kraft heißt es, Jäger hätten mehrere rechtliche Wege zur Verfügung gestanden, Amri vor dem Attentat festzusetzen. „Warum der Innenminister nicht gehandelt hat, wird auch ein unabhängiger Gutachter nicht feststellen können.“
Das bevorstehende Ende der Wahlperiode ist nach Ansicht Laschets und Marschings kein Hinderungsgrund für einen Untersuchungsausschuss. Seine Arbeit könnte auch nach der Landtagswahl fortgesetzt werden. Die Notwendigkeit einer umfassenden Aufklärung ende nicht mit der Legislaturperiode.
Auch im Bundestag wird darüber debattiert ob sich ein Sonderermittler oder ein Untersuchungsausschuss mit dem Fall Amri befassen soll. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann fordert einen Sonderermittler, sein Unions-Kollege Volker Kauder einen Untersuchungsausschuss des Bundestages. Den schließt die SPD auch nicht kategorisch aus. (dpa)