Langsamer Abschied von den Fesseln

Bettengitter und Bauchgurte für Patienten gehören noch zum Pflegealltag. Doch in NRW beginnt ein Prozess des Umdenkens.

Foto: dpa

Bonn. In vielen Seniorenheimen gehören Bettengitter und Bauchgurte noch zum Alltag. Doch in der Seniorenpflege hat ein Prozess des Umdenkens begonnen. Mobilität statt Fixierung heißt die Devise. Dabei sieht NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) sein Bundesland als Vorreiter. So seien die richterlichen Genehmigungen von Fixierungen in NRW von 23 730 im Jahr 2010 auf 14 281 im vorigen Jahr reduziert worden. Also um rund 40 Prozent, sagt Kutschaty gestern beim Besuch des Bonner Seniorenzentrums Theresienau. Dort gibt es seit 2012 keine Fixierungen mehr.

„Wir glauben, indem wir den Menschen ihre Bewegung lassen, lassen wir ihnen ein gehöriges Stück Lebensqualität oder geben es ihnen zurück“, sagt Theresienau-Geschäftsführer Michael Thelen. Heute sei klar, dass der Mensch durch Fixierung pflegebedürftiger werde und Schäden erleide. Als vor Jahren besonders niedrige Pflegebetten auf den Markt kamen, war der Weg für Thelen und seine Mitarbeiter klar. Zwar haben auch diese Betten Gitter, aber die werden nicht verwendet. Falls der Patient dann doch aus dem Bett rollt, kullert er auf eine Matratze am Boden neben dem Bett.

Es gehe um Sensibilisierung und Aufklärung der Heime und der Gerichte, sagt Kutschaty. In jedem Einzelfall seien einfallsreiche und lebenspraktische Lösungen notwendig. 41 der 130 Amtsgerichte in NRW verfahren laut Kutschaty nach dem Prinzip, möglichst Fixierungen zu vermeiden, weitere 26 erwägen die kurzfristige Umsetzung.

Von 2000 bis 2010 hatte sich die Zahl der gerichtlich genehmigten Fixierungen bundesweit noch von 50 000 auf fast 100 000 verdoppelt. Mittlerweile aber gingen die Zahlen überall zurück, sagt der Pflegewissenschaftler Ralph Möhler von der Universität Witten-Herdecke. In NRW und Süddeutschland sei der Trend sehr stark.