NRW-Landespolitik Herr Optendrenk, drohen bald Haushaltssperren?

Interview | DÜSSELDORF · NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk im Gespräch über klamme Kommunen, mehr private Investitionen und tatsächlich akute Probleme für die schwarz-grüne Koalition, wenn es um das laufende Haushaltsjahr geht

 Marcus Optendrenk (CDU), Finanzminister von Nordrhein-Westfalen.

Marcus Optendrenk (CDU), Finanzminister von Nordrhein-Westfalen.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Im Finanzministerium in Düsseldorf stapeln sich die Akten auf dem Schreibtisch von Finanzminister Marcus Optendrenk. Es gibt viel zu tun, das Geld wird auf allen Ebenen zunehmend knapp. Zeit für ein Gespräch.

Herr Optendrenk, die Kommunen ächzen unter den Lasten, die ihnen zugetragen werden. Wie sieht denn ihr Konzept aus, diese Last zu lindern?

Marcus Optendrenk: Diese Regierung ist kommunalfreundlich. 23 Prozent der Gemeinschaftssteuern, die das Land einnimmt, fließen in den kommunalen Finanzausgleich. Und zwar konstant, die Quote lag früher darunter. Damit sorgt das Land für eine verlässliche Basisfinanzierung. Wir unterstützen in schwierigen Situationen und wir beachten das Grundprinzip der Konnexität. Damit gilt, wenn das Land Aufgaben auf die Kommunen überträgt, so sieht es zeitgleich eine angemessene Kostenerstattung vor.

Warum ist das Geld trotzdem immer zu knapp vor Ort?

Optendrenk: Die Kommunen haben große Aufgaben zu schultern, ich war 23 Jahre selbst Ratsmitglied. Verlässlichkeit ist eine ganz wichtige Komponente. Kommunale Gestaltung hat aber auch damit zu tun, ob ich selbst anpacke und Verantwortung übernehme. Deswegen ist vor allem Planungsvereinfachung wichtig, etwa bei der Ausweisung von Wohn- und Gewerbegebieten. Dafür sorgen wir. Es war richtig, dass wir die Ausfälle der Gewerbesteuer in der Coronazeit komplett übernommen haben. Die nächste Herausforderung sind die Flüchtlingskosten. 2016 hat der Bund rund 40 Prozent der Kosten übernommen, 2023 waren es hingegen nur rund 20 Prozent. Wir haben deshalb im letzten Jahr zusätzlich eine Milliarde Euro an die Kommunen zur Erstattung der Kosten für Flüchtlinge gegeben. Die Zustimmung zum Staat beginnt in der Kommune.

Trotz alledem gehen immer mehr Kommunen am Stock. Braucht es eine neue Gemeindefinanzreform, in der Lasten neu verteilt werden?

Optendrenk: Das ist nicht nur eine Finanzfrage. Nordrhein-Westfalen war spürbar wie kein anderes Land vom Strukturwandel betroffen, deswegen muss sich der Bund auch dafür an den Kosten beteiligen. Was ich bei alledem gelernt habe: Man tut den Menschen keinen Gefallen, wenn man versucht, Zustände zu lange zu konservieren. Der verzögerte Strukturwandel des Ruhrgebietes kostet uns heute noch Wohlstand. Deswegen müssen wir jetzt im Rheinischen Revier, in der Energiewende und der Klimaneutralität, Lösungen entschlossener anpacken. Dafür haben wir zum Beispiel in der NRW.Bank jetzt ein Vorstandsressort Transformation eingerichtet. Mit der Zielrichtung, die Transformation im Land umzusetzen.

Was bei Thyssenkrupp passiert, muss Sie ärgern. Das Land hat 700 Millionen Euro investiert, das Unternehmen baut Stellen ab. Ist das Geld falsch investiert?

Optendrenk: Wir benötigen langfristige Investitionen in den Standort, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Stahlindustrie zu steigern und Arbeitsplätze zu sichern. Die Stahlindustrie hat eine strategische Bedeutung für Nordrhein-Westfalen; wir benötigen nachhaltig produzierten, grünen Stahl für zukünftige Technologien wie Windräder und andere Infrastrukturen. Der grüne Stahl von Thyssenkrupp ist somit ein wichtiger Impuls für die soziale und ökologische Marktwirtschaft. Wir motivieren zum Nachmachen und haben damit einen Leuchtturm. Umso klarer ist aber auch unser Anspruch, dass die Unternehmensführung bei ihren Zukunftsplänen nach dem bewährten Prinzip der Mitbestimmung und unter Einbindung der Sozialpartner agiert. Entscheidend ist jetzt, dass die Stahlproduktion in Nordrhein-Westfalen den Weg der Transformation zu Klimaneutralität konsequent weitergeht. In diesen Prozess sollten insbesondere auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingebunden werden.

Auch die Kassen des Landes sind nicht mehr gut gefüllt. Macht Ihnen das Sorgen?

Optendrenk: Damit Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Konjunkturpolitik aus einer Hand gemacht werden können, sind diese Zuständigkeiten 1968 in die Hand des Bundes gelegt worden. Die gesamten Verwaltungsfunktionen wie Schule, Polizei, Justiz, Finanzverwaltung und die Basisfinanzierung der Kommunen sind seinerzeit an die Länder gegangen. Und diese großen Blöcke der Länder sind natürlich viel statischer und kurzfristig weniger beeinflussbar als die Aufgaben des Bundes. Wenn dann noch eine Inflationsrate dazu kommt, wird es schwierig. Das Umsteuern dauert länger. Deshalb stehen alle Länder strukturell vor dem gleichen Problem.

Der Gestaltungsspielraum ist gering.

Optendrenk: Er liegt bei etwa zehn Prozent des Haushalts, alle anderen Blöcke sind fix. Politische Bewegungsmöglichkeit entsteht nur durch Einnahmen oder Umstrukturierungen.

Was macht die Ampelregierung falsch, dass der Eindruck entsteht, es gäbe Stillstand in der Republik?

Optendrenk: Über Deutschland liegt ein Mehltau. Als Grundlage der Steuerschätzung im Mai erwartet der Bund keine 1,3 Prozent Wachstum, wie ursprünglich geplant, er rechnet jetzt gerade mal mit 0,3 Prozent. Man bedenke: Ein Prozent weniger Wachstum bedeutet etwa eine Milliarde weniger an Steuereinnahmen für unser Land. Klar ist: Wenn sich die Ampelkoalition auf nichts einigen kann, investieren Firmen woanders.

Die Schuldenbremse steht mehr denn je im Fokus. Die politische Lobby für eine Reform der Bremse oder ihren Wegfall werden größer. Sie sind dagegen?

Optendrenk: Wir haben eine Investitionsquote von über zehn Prozent. Vor der Schuldenbremse lag sie zum Teil deutlich niedriger. Man kann also nicht sagen, dass es prozentual zu wenig Investitionen wegen der Schuldenbremse gäbe. Wir haben eine kommunale Investitionsschwäche. Die hat mit Finanzen zu tun, aber auch mit der Möglichkeit, dass die Unternehmen auf dem Markt die Aufträge nicht alle bedienen können. Da sind der Fachkräftemangel, viel zu komplizierte Ausschreibungs- und Planungsverfahren und schlicht unklare Rahmenbedingungen. Das Vergaberecht ist ein Riesenthema. Während Corona hatten wir es gelockert, der faire Wettbewerb ist während der Pandemie nicht unter die Räder gekommen. Der Bund hat jedoch keine Lehre daraus gezogen. Im Land haben wir das getan, angepasst und optimiert, wo es möglich ist. Grundsätzlich gilt: Jede Generation sollte mit den Mitteln auskommen, die sie selbst erwirtschaftet. Im Übrigen hat die Ampel in Berlin in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass die Schuldenbremse bleibt. Es ist nicht zu erwarten, dass der Bundestag etwas anderes beschließen wird.

In welchem Bereich wären Anpassungen denkbar?

Optendrenk: Wir haben damals eine Konjunkturkomponente eingebaut, die nach bestimmten volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten berechnet wird. Da müssen wir uns schon fragen: Sind die noch richtig justiert? Ich bin an der Stelle nicht dogmatisch, das Bundeswirtschaftsministerium hat auch bereits Anpassungen vorgenommen. Wenn man aber glaubt, dass die Schuldenbremse alles verhindert, was notwendig wäre, dann passt das mit den Zahlen nicht zusammen. Was unbestritten ist: Wir haben einen Investitionsstau. Den muss man aber nicht nur als Staat auflösen, den könnte man auch anders auflösen, zum Beispiel über privates Kapital.

Wie kann das angereizt werden?

Optendrenk: Wir müssen uns doch fragen: Warum fließt internationales Kapital massiv an Deutschland vorbei? Ich unterstütze Bundesfinanzminister Christian Lindner ausdrücklich beim Thema Kapitalmarktunion: Staatskapital von auswärts, das Anlagen sucht, muss man nicht nur in NRW-Anleihen unterbringen, wie wir das massiv tun, um unser Zinsniveau niedrig zu halten. Sondern wir müssen es auch für Investitionen gewinnen. Wir müssen Wege finden, damit die nächste Generation nicht unsere Schulden zahlen muss. Nachhaltigkeit hat eine ökologische, eine soziale und eine finanzpolitische Dimension. Dieses Zieldreieck müssen wir im Blick behalten.

In der Praxis sieht es aber doch so aus, dass wir schnell mehr Geld brauchen, etwa um vor dem Einsturz bedrohte Brücken zu sanieren.

Optendrenk: Es ist komplexer. Wir müssen insgesamt die Haltung bei Entscheidungsprozessen verändern. Die Brücke wird nicht nicht gebaut, weil das Geld fehlt, sondern weil die Planungsverfahren das Problem sind. Ich gebe Ihnen mal Beispiele, was alles geht: Wir haben gerade das neue Landesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität in kürzester Zeit an den Start gebracht. Und: Weil wir nicht mehr alle Büroflächen benötigen, haben wir begonnen mit Coworking Spaces innerhalb der Finanzverwaltung. Man kann die Arbeitswelt verändern, wenn die Menschen das wollen. Ähnlich haben wir das Hochschulbauverfahren novelliert, innerhalb von eineinhalb Jahren. Wenn man wirklich will, geht das alles. Oder: Bis 2028 werden wir die bürgerfreundliche Steuererklärung durchprogrammieren. Das wird bürgerfreundlicher und verwaltungsärmer, denn machen wir uns nichts vor: Die Demografie schlägt auch bei uns zu, in zehn Jahren bekommen wir weniger Personal für die Finanzverwaltung als heute. Wir müssen das durch Digitalisierung ausgleichen und durch attraktive Arbeitsplätze. Die öffentliche Verwaltung braucht nicht einfach nur immer mehr Geld, sie braucht ein neues Denken, um mit dem Geld auszukommen.

Jetzt wollen Sie den Clans an den Kragen. Wie eigentlich genau?

Optendrenk: Die Frage ist: Wo erwischt man diejenigen, die sich diesem Staat organisiert entziehen? Es geht uns um Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Wir wollen eine Beweislastumkehr erreichen. Wenn Sie auf jemanden stoßen, der auffällig viel Geld mit sich führt, in riesigen Anwesen lebt, Luxusautos fährt, aber die Herkunft nicht erklären kann, muss der Staat in der Lage sein, schnell die Hand daraufzulegen. Denn jeder rechtstreue Bürger kann doch erklären, wo sein Geld herkommt – aus dem Erwerbseinkommen, einem Erbe, einer Ausschüttung oder das Auto war eben ein Geschenk der Tante. Nur so bekommen wir illegale Geldströme kontrolliert und abgeschöpft. Die neuen Überlegungen dazu aus dem Haus von Bundesfinanzminister Christian Lindner greifen zu kurz: Der Vorschlag in der vorliegenden Form geht insgesamt an den Bedürfnissen der Praxis vorbei und erfüllt nicht die seitens der Strafverfolgungsbehörden geäußerten Notwendigkeiten zur einfacheren Ermittlung von Vermögenswerten. Die Strafverfolgungsbehörden der Länder und des Bundes sollen nicht befugt sein, das administrative Ermittlungsverfahren zur Vermögensabschöpfung selbst durchzuführen. Da kann man nur mit dem Kopfschütteln. Selbst die FDP-Landtagsfraktion hat sich in der letzten Ausschuss-Sitzung für mehr Befugnisse und Möglichkeiten bei der Vermögensabschöpfung ausgesprochen. Da muss der Bund jetzt dringend nacharbeiten.

Die Opposition in NRW vermutet, dass es bald zu Haushaltssperren kommen könnte. Ist da was dran?

Optendrenk: Im laufenden Haushaltsvollzug 2024 arbeiten wir sparsam, um uns finanzielle Spielräume zu erhalten. Das ist Teil der Vorbereitung auf die anstehende Steuerschätzung, die uns mit Blick auf verfügbare Mittel auch schon für dieses Jahr beschäftigen wird. Die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen machen es uns nicht leicht, wie man schon jetzt auf allen staatlichen Ebenen sehen kann, nicht zuletzt im Bund. Auch wir werden den Realitäten gerecht werden und prüfen müssen, welche staatlichen Leistungen auf den Prüfstand gehören, schon in diesem Jahr.

Her Optendrenk, was ist das Fundament ihrer Koalition, die deutlich geräuschloser regiert als die Ampel in Berlin?

Optendrenk: Wir vertrauen einander. Und wir finden auch Lösungen für Fragen, die wir vorher gar nicht kannten. Das ist der Lackmustest jeder Koalition: Auch das zu einen, was nicht im Koalitionsvertrag steht. Klar ist: Man muss dem anderen auch mal einen Erfolg gönnen. In der Bundesregierung gönnen die Parteien sich aber nicht das Schwarze unter den Fingernägeln.