Herr Ott, heute beginnt die Didacta in Köln. Werden Schulen in NRW von den dort dargestellten Entwicklungen angemessen profitieren können, oder sind wir gar nicht mehr fähig, Schule fortschrittlich weiterzuentwickeln?
Kritik aus der Opposition in NRW Jochen Ott: „Schulen sind zum Teil richtige Schrotthaufen“
DÜSSELDORF · Der Schulpolitiker und heutige SPD-Fraktionschef im NRW-Landtag über eine Reform der Schulfinanzierung in NRW
Die Didacta in Köln präsentiert ab heute als Lehrmittelmesse den Fortschritt, den Unternehmen erdenken. Schulen müssen den umsetzen, sind aber oft in schlechtem Zustand und ungenügend ausgerüstet mit so vielem, sagt SPD-Fraktionschef Jochen Ott (SPD) im Interview mit dieser Zeitung. Was also tun?
Jochen Ott: Natürlich sind wir das. Was dazu in NRW aktuell leider fehlt, ist der politische Wille. Von der schwarz-grünen Landesregierung gibt es keinerlei Impulse, nach vorne zu denken. Keine Bereitschaft, etwas an den Lehrplänen oder Arbeitszeitmodellen zu ändern. Keine Idee, wie sich der Beruf als Lehrkraft attraktiver gestalten lässt. Und keine Einsicht, dass sich schleunigst etwas an der Finanzierung ändern muss. Schwarz-Grün ist und bleibt eine konservative Regierung, die in der Bildung nichts verändern will. Wir dagegen schon.
Sie beschäftigen sich mit der aus ihrer Sicht notwendigen Schulfinanzierungsreform. Was könnte das bringen?
Ott: Fakt ist: Zu vieles bleibt liegen, weil sich Kommunen, Land und Bund nur noch über Geld und Zuständigkeiten streiten. Der Investitionsstau an den Schulen in NRW beträgt inzwischen zehn Milliarden Euro. Am Ende leiden unsere Schülerinnen und Schüler und alle Beschäftigten, die in dem System ihr Bestes geben wollen, aber oftmals gar nicht können. Schauen Sie sich doch zum Beispiel die Schulen einmal an. Das sind zum Teil richtige Schrotthaufen. Viele sind in einem derart schlechten Zustand, das sind einfach keine guten Bedingungen für einen Lern- und Lebensort.
Wie soll eine Verbesserung konkret aussehen?
Ott: Den Kommunen fehlt dafür oft das Geld. Die Landesregierung sagt „Dafür bin ich nicht zuständig“. Der Bund darf sich da gar nicht einmischen. Und da reden wir erst einmal „nur“ über die Gebäude. Bei den Lernmitteln oder der Ausgestaltung des Ganztags geht die Diskussion weiter. Deshalb müssen da alle an einen Tisch mit dem Ziel eines Kassensturzes und einer neuen Vereinbarung darüber, wer macht was.
Die Landesregierung hat in einer Kleinen Anfrage der SPD Fraktion auf laufende Gutachten zum Thema verwiesen. Die Kommunen drängen, sie sehen sich ob aller neuen Herausforderungen in Schulen überfordert. Sind die Gutachten notwendig oder weitere Verzögerung?
Ott: Wir fordern seit Jahren eine Neugestaltung des Finanzierungssystems in der Bildung – einen sogenannten „New Deal“. Dem hat die schwarz-grüne Landesregierung aber zuletzt wieder eine Absage erteilt. Zuerst wartet man ein juristisches Gutachten ab, danach folgt noch ein zweites. Heißt: In dieser Legislaturperiode wird das nichts mehr. Und wieder leiden unsere Kinder. Die Landesregierung versteckt sich hinter Gutachten. Und das ist sehr, sehr bitter für die Bildung in NRW.
Wieso hat die SPD selbst nicht an dieser Schulfinanzierung gedreht? Bedarf gibt es seit vielen Jahren. Ist das schlicht zu teuer und nicht vermittelbar? Immerhin hat die Landesregierung gerade erst die Gehälter auf A13 angehoben in den Grundschulen.
Ott: Wir haben den Einstieg mit dem Programm „Gute Schule 2020“ doch schon begonnen. Das hat die CDU-geführte Nachfolgerregierung dankbar mitgenommen, aber seitdem nichts Eigenständiges mehr geliefert. Unsere Anträge auf Folgeprogramme hat sie bisher alle abgelehnt. Insofern bleibe ich dabei: Es liegt am Willen und daran, wer regiert. Mit der CDU wird es da jedenfalls keine Verbesserungen geben. Selbst die Anhebung auf A13 läuft doch nur halbherzig.
Wie muss die Bundesregierung auf die neuen Ansprüche in Schule reagieren? Bedarf es nicht nur einer Schulfinanzierungsreform in NRW, sondern auch einer Zuständigkeitsreform mit dem Bund im Sinne einer ganz neu gedachten Schule?
Ott: Wir brauchen den Bund für deutschlandweite Standards – und auch für die Finanzierung von allgemeinen Aufgaben. Dazu gehören für mich zum Beispiel alle Fragen der Digitalisierung, aber auch der Umgang mit sozialen Herausforderungen – wie das jetzt beim Startchancen-Programm gelungen ist. So eine Kooperation würde ich mir auch für das kostenlose Mittagessen an Schulen wünschen, wie es ja auch der vom Bundestag eingesetzte Bürgerrat empfohlen hat. Ja, wir müssen die Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen in der Bildungsfrage neu denken. Daher drängen wir ja auch so sehr auf einen „New Deal“: mehr Rahmen von oben, um mehr Freiheiten von unten besser gestalten zu können. Der Föderalismus stößt da in seiner jetzigen Form an seine Grenzen.