Demos in NRW Liminski: Die Ditib muss sich jetzt klar distanzieren

Interview · Nathanael Liminski, NRW-Europaminister und Chef der Staatskanzlei, über umstrittene Demonstrationen zum Nahostkonflikt in Deutschland, den Umgang mit der Ditib und politische Konstellationen, die sich womöglich verändern

NRW-Europaminister Nathanael Liminski (CDU), zugleich Chef der Staatskanzlei, beim Besuch in der Wuppertaler Redaktion.

NRW-Europaminister Nathanael Liminski (CDU), zugleich Chef der Staatskanzlei, beim Besuch in der Wuppertaler Redaktion.

Foto: JA/Andreas Fischer

Herr Liminski, in NRW wird die Klage über das Schicksal der Palästinenser aktuell verbunden mit antisemitischen Inhalten in vielen Demonstrationen auf die Straße getragen. Was kann die Landesregierung dagegen unternehmen, wenn die Sicherheit des jüdischen Staates glaubwürdig als deutsche Staatsräson gelebt werden soll?

Nathanael Liminski: Als Erstes kommt es auf eine klare Position der Regierung an: Ministerpräsident Hendrik Wüst hat noch am Tag des Anschlags klargemacht, dass wir an der Seite Israels und der Juden in Nordrhein-Westfalen stehen – ohne Wenn und Aber. Diese Staatsräson muss nun in alle Bereiche übersetzt werden. Mit Blick auf die Demonstrationen hilft Innenminister Herbert Reul den Versammlungsbehörden bei der strengen Anwendung und Durchsetzung der bestehenden Regeln. Zudem hat er den Vorschlag gemacht, dass man nicht nur gegen die militant-islamistische Hamas-Organisation und das palästinensische Netzwerk Samidoun ein Betätigungsverbot ausspricht, sondern auch gegen angeschlossene Organisationen wie zum Beispiel die Generation Islam, die aus meiner Sicht eindeutig volksverhetzend agiert.

Warum ist es offenbar so schwierig, gegen die für viele Menschen unerträglichen Demonstrationen wirkungsvoll vorgehen zu können?

Liminski: Wir haben es mit intelligenten Gegnern unseres Rechtsstaates zu tun. Die Demonstrationen werden von unbescholtenen Personen angemeldet, mit rechtlich gesehen chemisch gereinigten Aufruftexten, mit einer unauffälligen Teilnehmerzahl. Und das Ganze zu einem Anliegen, das nicht verboten ist. Da ist es für die Behörden nicht einfach, einen Pack-an für ein Verbot zu finden.

Trotzdem muss es einen Weg geben, wenn man der Stimmung in der Gesellschaft gerecht werden will.

Liminski: Die Sorgen sind berechtigt und berechtigte Sorgen müssen aufgenommen werden. Die Versammlungsbehörden tauschen sich längst dazu aus, die Auflagen eng und konkret zu fassen, sodass man im Verlauf der Demonstration bei Grenzüberschreitungen schnell eingreifen kann. Trotzdem ist es für viele Menschen in NRW – und dazu gehöre ich auch – extrem verstörend, solche Bilder auf unseren Straßen zu sehen. Weil die Flaggen an radikale Islamisten in Irak, Syrien und Afghanistan erinnern. Und sie sollen ja auch daran erinnern. Es ist der Versuch einer Machtdemonstration und einer Einschüchterung. Es soll das Zeichen in die Welt gehen: Wir sind jetzt hier stark. Und wir werden auch immer mehr. Darauf müssen wir als offene Gesellschaft und wehrhafte Demokratie eine klare Antwort finden, in allen Bereichen.

Was heißt das konkret?

Liminski: Mit Blick auf das Versammlungsrecht müssen wir im Bereich der Volksverhetzung konkreter werden. Die Bundesregierung will jetzt bestimmte Schlachtrufe verbieten. Ich sage: Wenn das Existenzrecht Israels deutsche Staatsräson ist, dann müssen wir die Linie durchziehen. Dann muss explizit im Strafgesetzbuch stehen, dass jemand, der öffentlich gegen das Existenzrecht Israels skandiert und Hass verbreitet, Volksverhetzung begeht.

Wer verhindert denn das?

Liminski: Die Bundesregierung kommt jetzt allmählich in die Gänge. Aber was da rund um das Hamas-Verbot geschehen ist, war ein Stück aus dem Tollhaus: Erst die Ankündigung durch den Bundeskanzler und dann erst nach Wochen das Verbot durch die Bundesinnenministerin, von Maßnahmen ganz zu schweigen. Das war fast mehr Schaden als Hilfe. Wir müssen jetzt wirklich durch alle Bereiche gehen: Strafrecht, Bildung, politische Bildung, Religionsunterricht. Wir werden dabei absehbar eine Reihe von gesellschaftlichen Konflikten gesellschaftlich austragen. Und ich bin der Meinung: Wir müssen sie zu Ende austragen. Alles andere wäre ein Scheinfrieden.

Denken Sie dabei an die Ditib?

Liminski: Ja, auch. Wortlos überwintern zu wollen – das reicht nicht. Wenn der Chef der Diyanet und auch der türkische Präsident Israel-Hass und Juden-Hetze verbreiten, können die Menschen in Deutschland erwarten, dass sich eine verbundene Organisation wie die Ditib klar und deutlich davon distanziert, wenn sie hier in Deutschland weiterwirken will. Andernfalls braucht es Konsequenzen.

Die wie aussehen?

Liminski: Ich bin mir mit Schulministerin Dorothee Feller einig, dass eine weitere Mitwirkung der Ditib an der Gestaltung des islamischen Religionsunterrichts hier bei uns nur möglich ist, wenn sie sich zum Existenzrecht Israels und gegen Antisemitismus bekennt. Wir sind ein sehr tolerantes Land. Wir lassen sehr viel zu. Und ich würde uns empfehlen, dass wir uns diese Freiheit auch bewahren. Ich will, dass eine berechtigte Demo in NRW geschützt wird. Freie Meinungsäußerung muss auch dadurch geschützt werden, dass wir hier die Grenzen klar ziehen. Antisemitismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass das harte Arbeit und mitunter ein langer Kampf wird.

Sie haben die muslimischen Verbände zusammengeholt, um ihnen ein Statement abzuringen gegen die Gräueltaten der Hamas. Wie ist Ihr Eindruck von diesem Treffen?

Liminski: Ich habe das gemacht, weil ich mir Sorgen mache um den gesellschaftlichen Frieden in unserem Land. Zum Jahrzehnte schwelenden Nahostkonflikt kann man unterschiedlicher Meinung sein, zu den Gräueltaten der Hamas kann es nur eine Meinung geben. Es geht um einen bestialischen Angriff auf Juden, weil sie Juden sind. Wenn wir da keine klare Linie ziehen, ja, wo denn dann? Mir ist diese Klarheit auch mit Blick auf die Muslime in unserem Land wichtig. Es darf keinen Generalverdacht gegen Muslime geben. Dieser Generalverdacht treibt gerade ganz viele junge Muslime in unserem Land in einen krassen Identitätskonflikt. Von der einen Seite fühlen sie sich verdächtigt. Und von der Seite der Extremisten heißt es: Wenn du Muslim bist, musst du für Palästina sein! Wenn du für Palästina bist, musst du gegen Israel sein! Und wenn du gegen Israel bist, musst du auf die Straße gehen und das gleiche skandieren wie Erdogan!

Und da hilft Ihr Dialog?

Liminski: Ich will mit diesem Prozess einerseits Druck auf den Kessel für mehr Klarheit geben. Und gleichzeitig brechen wir Muster auf, verhindern eine Schweigespirale. Wir brauchen Raum für Begegnung. Das war in der Synagoge in Köln so, das war in der Moschee in Bochum so, wo sich Vertreter der Juden und Muslime getroffen haben. Es braucht echten Austausch. Wenn wir nur noch übereinander reden und nicht miteinander, dann geht die Logik der Terroristen auf.

Brauchen wir nicht eigentlich eine neue Debatte über eine deutsche Leitkultur?

Liminski: Wir haben das Grundgesetz. Das beschreibt nicht nur Rechte der Bürger gegenüber dem Staat, sondern auch grundlegende Regeln unseres Zusammenlebens. Aber zur Wahrheit gehört: Wir müssen uns darüber expliziter als Gesellschaft verständigen. Den Religionen kommt bei dieser Verständigung eine zentrale Rolle zu. Als Landesregierung werden wir einen strukturierten interreligiösen Dialog aufsetzen. Und gemeinsam mit den Vertretern von Juden, Muslimen und Christen bin ich mir bereits einig, dass wir ihn schnell auf der lokalen Ebene verbreitern müssen, mit einem besonderen Fokus auf Kinder und Jugend. Da sind soziale Netzwerke wie TikTok unser größter Gegner. Sie befeuern die Stimmungsmache.

Also auch mit der Ditib?

Liminski: Wenn es die notwendige Distanzierung von der Hetze aus Ankara gibt, dann auch mit der Ditib. Und sonst eben nicht.

Ihr Argwohn gegenüber der Ditib ist groß.

Liminski: Als unser größter Gegner früher islamistische Hassprediger aus dem Mittleren Osten waren, waren wir letztlich froh darum, dass es mit der staatlich kontrollierten Ditib kein Abrutschen in die Extreme gab. Daraus ist heute ein krasser Nachteil geworden, weil es einen türkischen Präsidenten gibt, der nach seiner Wiederwahl und vor den Kommunalwahlen in der Türkei mit krassen antijüdischen Ressentiments Wahlkampf betreibt. Deshalb müssen wir unsere Erwartung und unsere Maßstäbe umso klarer formulieren.

Eine klare Erwartungshaltung hatte man auch in Hessen, mit einer neuen schwarz-grünen Regierung. Ist die neue Koalition dort mit der SPD das geplante Role-Model für Deutschland?

Liminski: Diese Entscheidung war eine hessische Entscheidung.

Aber doch wohl auch ein Fingerzeig gen Bundestagswahl 2025.

Liminski: Aus dem eigenen Erleben mit dem Umgang mit Ergebnissen nach Landtagswahlen kann ich sagen: Da schaut jeder, was vor Ort in den nächsten fünf Jahren das Beste ist. Ich kenne keine Landesregierung, die als Gefallen an Berlin gebildet worden ist. Ich kenne im Übrigen auch keinen in der CDU, der mit einer Großen Koalition den Kanzler aus seiner selbst verschuldeten Misere retten will. Man käme da unter alten Mehrheitsverhältnissen zusammen, die überhaupt nicht mehr der politischen Realität im Land entsprechen. Das halte ich für ein Hirngespinst.

Wie schnell werden denn die Beschlüsse, die zuletzt zwischen Kanzler und Ländern zur Migration vereinbart wurden, in Gesetzen Niederschlag finden?

Liminski: Hendrik Wüst hat bereits klargemacht, dass das Erreichte ein erster Schritt ist, aber im Hinblick auf Begrenzung von irregulärer Zuwanderung und deren Finanzierung für die Kommunen nicht reichen wird. Uns ist wichtig, den Druck hochzuhalten auf die Bundesregierung. Denn eines ist doch klar: Im nächsten Jahr sind Europawahlen, und wenn dieses Problem ungelöst bleibt, ist nicht ausgeschlossen, dass die AfD dann die stärkste Partei in Deutschland wird. Den internationalen und gesellschaftlichen Schaden kann keiner verantworten wollen. Es braucht eine handlungsfähige Bundesregierung. Sich nach einem Europawahlerfolg der AfD in eine Menschenkette der Betroffenheit einzureihen, ist für eine Regierung zu wenig.

Ein Urteil über die Koalition in NRW lautet meist: Sie arbeitet geräuschlos. Wir hören aber, dass es an der einen oder anderen Stelle durchaus ordentlich knarzt.

Liminski: Natürlich diskutieren wir auch. Wir tun das aber in einer Weise, in der das Bürger zurecht erwarten: intern. Immer mit dem Ziel, zu einer konkreten Lösung zu kommen, die zum Besten für das Land ist. Das war von Anfang an unser Anspruch, eine auf NRW konzentrierte Zukunftskoalition. Wir wollen bewusst nicht die Arbeitsweise und die Konflikte aus Berlin nach NRW holen. Klar ist aber auch: Grün und Schwarz kommen bei vielen Themen aus entgegengesetzten Richtungen. Wir müssen zwei Stränge miteinander zu einem roten Faden verweben. Wir geben viel darauf, dass uns das hier besser als in Berlin gelingt.

Was sagt das eigentlich über die politische Kaste aus, dass immer alle Streit erwarten?

Liminski: Ich bin ja als Chef der Staatskanzlei qua Amt eine wandelnde Kompromissmaschine. Es geht hier aber um echte Kompromisse: die Auflösung von zwei Positionen in einer neuen Position. In Berlin werden nach meiner Ansicht Formelkompromisse gemacht: Der eine bekommt bei dem Thema was, der andere bei dem anderen. Immer mit der Folge, dass die Koalitionspartner zum jeweiligen Thema nicht einig sind, nicht einig bleiben und es einander nicht gönnen. Jeder ist anschließend erpicht darauf zu zeigen, wo er sich durchgesetzt hat. Das ist ein Geschäftsmodell, das auf Dauer nicht funktionieren kann.

Herr Liminski, wird die Senkung der Stromsteuer für die NRW-Industrie reichen? Sie wollten eigentlich zuerst einen Industriestrompreis.

Liminski: Nein, das reicht nicht. Der Strompreis ist eine entscheidende Variable für die Konkurrenzfähigkeit unserer Unternehmen. Deswegen sind wir für eine Stromsteuersenkung und für einen Industriestrompreis. Es darf sich keiner in die Tasche lügen, dass mit der Stromsteuersenkung das Thema erledigt ist. Die Gefahr sehe ich allerdings. Es gibt Indikatoren, an denen wir nicht mehr vorbeikönnen: In Deutschland laufen immer mehr Investitionsmittel ab als ein. Das wird unseren Wohlstand verkleinern.

Drehen wir bisweilen an den Schrauben mit zu alten Rezepten?

Liminski: Wir müssen zurück zu einer Politik, die durch Regulatorik die richtigen Rahmenbedingungen setzt. Wir schauen gerade neidisch auf den Inflation Reduction Act in den USA. Wir haben in Europa zwanzig Jahre über die grüne Transformation geredet, haben große staatliche Töpfe aufgesetzt, die das alles voranbringen. Und die Amerikaner haben es für den privaten Investor lohnend gemacht, in grüne Technologie zu investieren. Ich sehe kommen, dass die Amerikaner im Eiltempo schneller am Ziel sein werden, obwohl wir viele Jahre länger darüber reden. Sie glauben an die Kraft des privaten Kapitals und steuern es über diese Regulatorik. Wir werden in Europa hingegen immer staatsgläubiger. Da brauchen wir einen Wechsel im Mindset. Bei uns ist es für Lobbyisten der neueste Coup, die meiste Staatshilfe oder das größte Förderprogramm zu erhalten. Wir müssen wieder mehr über Gesetze als über Förderprogramme steuern.

Der Haushalt der Landesregierung steht unter extremem Druck. Welche noch geplanten Projekte fallen weg?

Liminski: Ich rede lieber über das, was wir machen. Wir müssen daran arbeiten, dass sich die haushalterische Situation wieder ändert, dafür müssen wir die Wirtschaft wieder ans Laufen kriegen. Deswegen haben wir aus Nordrhein-Westfalen in den letzten 18 Monaten sehr viel Arbeit in den Pakt für Planungsbeschleunigung gesteckt. Es gibt Stellschrauben, die kosten kein Geld.