Fraktionschefs in Duisburg Die SPD auf dem Rhein in NRW: Schiffbruch ahoi!

DUISBURG · Auf dem Rhein in Duisburg machen sich alle Fraktionschefs der SPD gemeinsam Mut, endlich die Schuldenbremse reformieren zu wollen. Ein Ortsbesuch

Am Anleger in Duisburg: Jochen Ott (rechts), Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen, und SPD-Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich. Beide sind aus Köln.

Foto: dpa/Oliver Berg

. Der Himmel ist grau über Duisburg, viele Gebäude sind es auch, aber die Aussichten der Ruhrgebietsstadt mit dem großen Hafen sind farbiger. Fast könnte man sagen: Dank der geplanten Duisburger Wasserstoff-Hegemonie sind sie pink wie die Socken, die Jochen Ott, der SPD-Fraktionschef im NRW-Landtag an diesem Morgen an Bord der Rheinyacht MS Rheinposie trägt. Es ist Otts neuer Slogan: „Die Zukunft ist pink.“ Deswegen ist auch seine Handy-Hülle knallig pink. Der Kölner will Zuversicht verbreiten. Aber gerade ist wieder so ein Tag, der das Gegenteil erzählt.

Während sich in Duisburg alle SPD-Fraktionschefs der Bundesländer mit Bundesfraktionschef Rolf Mützenich und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert gelingende Transformation und allerhand Investitionen auf ihrer zweimal im Jahr stattfindenden Klausur darbieten lassen, scheint eben solche Investitionspolitik für die nächste Transformation gerade im großen Stil abgesagt zu werden. Das Bundesverfassungsgericht hat der Bundesregierung gerade ein 60-Milliarden-Investitionspaket unter dem Hintern weggezogen.

Moralisch
gegenseitig stärken

Und jetzt müssen sich alle SPD-Fraktionschefs mit Mützenich moralisch gegenseitig stärken. Unter dem Druck der zerborstenen Pläne droht nämlich die von der SPD geführte Ampelkoalition in Berlin Schiffbruch zu erleiden. Man könnte auch sagen: So hoch wie das Wasser im Rhein steht es der Koalition bis zum Hals. Kein Wunder, dass viele der Fraktionschefs, die am Abend zuvor die berühmte Schimanski-Kneipe „Ankerbar“ begutachtet haben, mit dem Handy am Ohr unter Deck gehen, während ihnen der Hafen erklärt wird.

Vorbereitet haben sie ein Papier, das Rolf Mützenich für seine Rolle in Berlin als Scharnier zwischen Bundesregierung und Partei stärken soll. Der große Tenor: Die Schuldenbremse muss weg. Das nämlich soll dann der Anfang von allem sein: mehr Bildung, mehr Gerechtigkeit, mehr Klima, mehr Soziales. Und so weiter.

Die Bremse als jenes Vehikel aus dem Grundgesetz, mit dem Bund und Länder ihre Haushaltsdefizite nicht mehr durch Aufnahme von Krediten ausgleichen dürfen. Und das bis dato Finanzminister Christian Lindner (FDP) und auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) für unangreifbar halten. Aber kann das jetzt noch Bestand haben?

Wer immer schon dafür war, in Krisen zu investieren, ist es jetzt erst recht. In der SPD sind es alle. Generalsekretär Kühnert sagt auf dem Rhein, er wisse nicht, warum die geplanten Investitionen aus dem 60-Milliarden-Paket jetzt keine notwendigen Investitionen mehr sein sollen. Kühnert sieht genervt aus. „Das ist jetzt eine stressige Phase, aber dafür sind wir gewählt“, sagt er. Und vermittelt dann doch noch Zuversicht: „Dieses Bündnis ist immer schon auf Kompromissen großer Art aufgebaut gewesen. Auch jetzt haben wir die Kraft dazu. Das muss funktionieren. Und das wird auch funktionieren.“  Mützenich sieht im Grundgesetz „auch weiterhin“ Ausnahmen für Situationen, „die nicht allein von uns verschuldet worden sind“. Er, dem zwei Jahre Regierungszeit seiner Partei zugesetzt haben im Ringen mit Grünen und FDP, appelliert in alle Richtungen: Es müsse jetzt noch „einen Rest an Verantwortungsbewusstsein geben“. Mützenich meint auch die Opposition, die das Karlsruher Urteil „zum Teil mit Verantwortungslosigkeit und manchmal auch mit Häme“ kommentiert habe. Das, sagt er, sei in den Länderregierungen unabhängig von der Parteizugehörigkeit nicht der Fall. Denn dort wüssten die Fraktionen, dass das Urteil auch Länderhaushalte betreffen könnte.

Die SPD-Politiker warnen in dem Papier vor „Gefahren für die Demokratie“, wenn der Staat finanziell nicht mehr handlungsfähig sei. Auch wenn Mützenich den von Ott angestellten Vergleich von Gegenwart und der Situation in der Weimarer Republik 1928 für abwegig hält, sind die beiden Kölner Sozialdemokraten inhaltlich auf einer Linie. Union und FDP dürften sich der „dringend notwendigen Debatte zur Schuldenbremse nicht länger verweigern“, finden alle. Aus der Bundes-SPD waren bereits Rufe laut geworden, die Schuldenbremse 2023 und 2024 auszusetzen.

Um weitere Investitionen zu ermöglichen, schlagen die SPD-Fraktionschefs zugleich vor, „sehr hohe Einkommen und Erbschaften von Multimillionären und Milliardären“ stärker an der Finanzierung des Gemeinwohls zu beteiligen. Aus den so möglichen Mehreinnahmen solle ein erheblicher Teil in den Deutschlandpakt Bildung fließen, den Ott selbst erst vor einigen Tagen ins Spiel gebracht hatte. Mützenich spricht sich darüber hinaus dafür aus, trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts den Haushalt 2024 wie geplant nächste Woche im Bundestag zu verabschieden. „Ich möchte, dass alle verstehen, dass wir eine große Verantwortung dafür tragen, die Verunsicherung nicht noch größer zu machen“, sagt er. Eine vorläufige Haushaltsführung sei „mit Sicherheit nicht das beste Mittel“, Vertrauen herzustellen. Ob die Koalition gerade zu zerbrechen droht, fragt einer. „Nein“, sagt Mützenich. Und ob Lindner das auch so sehe? „Jetzt aufzugeben in dieser Situation“, sagt er, „das würde ich für fahrlässig halten.“