Neue Zahlen Mehr Kitaplätze in NRW – aber nicht im Ansatz genug

DÜSSELDORF · Neue Zahlen zeigen einen Aufwuchs von 466 Plätzen für 2024/2025 in NRW bei den U3-Plätzen – Ministerin Josefine Paul (Grüne) sagt: „Es ist ein Marathon“

Von allem nicht genug: Jacken und Taschen hängen im Eingangsbereich in einem Kindergarten.

Von allem nicht genug: Jacken und Taschen hängen im Eingangsbereich in einem Kindergarten.

Foto: dpa/Monika Skolimowska

Die Zahl der vorhandenen Kitaplätze in Nordrhein-Westfalen steigt weiter, deckt aber nach wie vor nicht den Bedarf ab. Nach neuen Zahlen aus dem Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration über die Anmeldungen der Landesjugendämter, die unserer Redaktion vorliegen, gibt es für das Kitajahr 2024/205 in der Unter-3-Betreuung insgesamt 221 084 Plätze – und damit 466 Plätze mehr als im Vorjahr. Bei den Ü3-Plätzen liegt der Aufwuchs bei 3140 Plätzen mehr als im Vorjahr, insgesamt gibt es in diesem Segment 543 141 Plätze in Nordrhein-Westfalen.

Prägnant: Wohl sind in Nordrhein-Westfalen erneut mehr Plätze als zuvor geschaffen worden, der Aufwuchs aber verlangsamt sich. Das wird erkennbar, wenn man die jeweiligen Zuwachszahlen der vergangenen fünf Jahre hinzunimmt. Die lagen zuvor bei den U3-Plätzen in den Jahren jeweils zwischen 4000 und fast 11 500 Plätzen, und bei den Ü3-Plätzen zwischen 4800 und fast 15 000 Plätzen. Und noch eine schlechte Nachricht: Den tatsächlichen Bedarf an Betreuungsplätzen in Kindertagesstätten können diese Plätze nach wie vor nicht abdecken. Das jüngste „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme“ von Bertelsmann hatte gezeigt, dass in NRW rund 110 400 Kita-Plätze fehlen. Vor allem bei Kindern unter drei Jahren könne der Betreuungswunsch der Eltern oft nicht erfüllt werden, hieß es dort.

Die Gewerkschaften Verdi NRW und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW NRW) kritisieren gegenüber dieser Zeitung das neue Ergebnis. „Die Maßnahmen reichen gerade mit Blick auf den weiter steigenden Personalbedarf in den Kitas nicht aus“, sagt die GEW-Landesvorsitzende Ayla Çelik. „Immer schlechter ausfallende Bildungsstudien, steigende Geburtenzahlen und vor allem auch immer mehr reduzierte Öffnungszeiten in vielen KiTas machen deutlich: der Personalschlüssel in Kitas muss dringend neu bewertet werden.“

„Das packen
wir jetzt an“

„Die Platzzahl wächst, wir haben so viele Kita-Plätze in NRW wie noch nie zuvor. Das ist gute Nachricht mit Blick auf den Ausbau von Betreuungsplätzen in der frühkindlichen Bildung“, sagt derweil Ministerin Josefine Paul zu den Zahlen. „Arbeiten müssen und werden wir daran, dass der Ausbau noch nicht Schritt hält mit dem schneller wachsenden Bedarf an Plätzen.“ Was im Bereich der frühkindlichen Bildung schon lange dränge, so Paul gegenüber dieser Zeitung, „packen wir jetzt an“. Das größte Problem sei der „aktuelle Fachkräftemangel“.

Laut Ministerium setze die Landesregierung auf ein landeseigenes Förderprogramm. „Dafür werden durch die im März neu erlassene Kitainvestitionsrichtlinie jährlich 115 Millionen Euro bereitgestellt.“ Sie schaffe die notwendige Grundlage für den Ausbau der Kindertagesbetreuung zunächst bis Ende 2026, heißt es aus dem Ministerium. Den inflationsbedingt gestiegenen Baukosten begegne man dabei mit im Schnitt „um rund 14,5 Prozent“ gestiegenen Fördersätzen. Auch die Zahl der Beschäftigten sei so hoch wie nie im frühkindlichen Bereich, reiche aber angesichts des gestiegenen Bedarfs erkennbar nicht aus. Mit dem „Sofortprogramm Kita“ habe man deshalb die Einsatzmöglichkeiten des bestehenden Personals flexibilisiert, etwa mit mehr zugelassenen pädagogischen Fachrichtungen und unbürokratisch eingegliederten ausländischen Studienabsolventen für die Arbeit in Kitas. Alltagshelfer und die „Aufstockung von Stunden bei vorhandenem Personal im nichtpädagogischen Bereich“ sollen darüber hinaus helfen.

„Klar ist: Wir sehen die Entwicklung in der frühkindlichen Bildung nicht erst seit gestern“, sagt Paul. In den vergangenen „Jahren und Jahrzehnten“ seien „Ausbau und Weiterentwicklung bei allen qualitativen und quantitativen Entwicklungen nicht mit der notwendigen politischen Priorität verfolgt“ worden. Das Land könne die Probleme nicht alleine lösen. Paul: „Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon mit vielen einzelnen Maßnahmen, die Bund, Länder, Kommunen und Träger in gemeinsamer Anstrengung und in den jeweiligen Verantwortungsbereichen umsetzen müssen.“

Celik kritisierte, dass der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz mehr als zehn Jahre alt sei, trotzdem fehlten nach wie vor viele Plätze. In den Jahren von 2019 bis 2023 sei der Bedarf in NRW um gut 10 Prozent gestiegen, und er werde weiter steigen. „Deshalb fordern wir als GEW NRW eine echte Qualitätsstudie und eine damit verbundene Neubewertung des Personalschlüssels.“ Mehr Ausbildungsplätze für Erzieherinnen und bessere Bezahlung gingen einher.

Laut Verdi NRW sei inzwischen zur Abdeckung der Bedarfe eine Kita-Öffnungszeit von sieben Stunden pro Tag empfohlen. „Der aktuelle Fachkräftemangel und die knappe Personaldecke sorgen leider vielerorts dafür, dass Praxisanleitung häufig nur eingeschränkt möglich ist. Daher fordern wir, dass die Praxisanleitung die erforderlichen Zeitressourcen erhält, um Auszubildende adäquat zu begleiten“, sagt Verdi-Pressesprecherin Lisa Isabell Wahr dieser Zeitung. Der Fachkraft-Kind-Schlüssel müsse verbessert und die Gruppengrößen reduziert werden.

Überbrückungshilfe
bis zu den neuen Pauschalen

Das Land NRW beruft sich darauf, den Kitas mit diversen Sondermaßnahmen in jüngerer Zeit bereits zur Seite gesprungen zu sein: 60,2 Millionen Euro habe man zu Beginn des Jahres 2023 für Energiekostensteigerungen bereitgestellt. Freie Träger hätten für Tariferhöhungen im Zusatzhaushalt 2024 eine finanzielle Überbrückungshilfe von 100 Millionen Euro erhalten, die bis zur Dynamisierung der sogenannten Pauschale aus dem Kinderbildungsgesetz (Kibiz) reichen soll. Mit der soll dann zehn Prozent mehr Geld für Personal- und Sachkosten verstetigt werden.