Laschet nach Berlin? Wer Nordrhein-Westfalen künftig regieren könnte
Düsseldorf · Sollte Armin Laschet schon bald nach Berlin wechseln, ergäbe sich in NRW eine kuriose Situation, die mit einer echten Besonderheit zusammenhängt. Und die historisch gesehen Karrieren verhindert oder befördert hat.
Am vergangenen Dienstag verteilte Hendrik Wüst Sicherheitsüberwürfe und Warnwesten an Kita-Kinder in Troisdorf. Ein Routine-Termin für einen Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen - und eine gute Abwechslung vom quälenden Dreiklang, der dem 44 Jahre alten Konservativen sonst tagtäglich begegnet: Brückensanierungen, Straßenausbau und: Stau. Wüst, der 2017 auf den letzten Metern ins Kabinett des NRW-Regierungschefs Armin Laschet gerutscht ist, weil Laschet seinerzeit schlau genug war, auch Gegner von einst in seinen Apparat einzubinden, moderiert die NRW-Frustthemen im Verkehrssektor durchaus geschickt. Er weiß, dass im Stauland NRW kein Verkehrsminister hell strahlen kann. Aber er hat es geschafft, nicht täglich dafür in den Schlagzeilen zu stehen. Unfallfrei aus dem Verkehrs-Amt zu kommen, das wäre also schon eine Leistung.
Und eine Empfehlung? Womöglich ist es nämlich schon bald so weit: Wenn Armin Laschet gegen die Konkurrenten Friedrich Merz, Jens Spahn oder auch Markus Söder absehbar CDU-Bundeschef und alsbald auch Kanzlerkandidat der Union auf Bundesebene würde, könnte die Stunde von Hendrik Wüst aus Rhede bei Bocholt schlagen: Weil in der laufenden Legislaturperiode (bis Mai 2022) in NRW nur ein CDU-Politiker mit Landtagsmandat mit einfacher Mehrheit der Abgeordneten gewählt werden könnte, ist der seriöse Kandidaten-Kreis auf die direkte Nachfolge im Ministerpräsidenten-Amt klein: Nur der seit Monaten unter Beschuss der Opposition stehende Justizminister Peter Biesenbach, mit 71 ältester Landesminister Deutschlands, aus dem oberbergischen Wahlkreis, der weitgehend öffentlichkeitsscheue derzeitige NRW-Finanzminister Lutz Lienenkämper (50 Jahr alt, Rhein Kreis Neuss, kommt aus Meerbusch) und eben Wüst aus dem Landkreis Borken kämen aus dem amtierenden Kabinett bei insgesamt acht CDU-Ministern infrage.
Dazu allenfalls noch der amtierende CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen (60) aus dem oberbergischen Kreis, der für Laschet 2017 hochengagiert innerparteilich die Reihen schloss und seither die knappe Landtagsmehrheit von Schwarz-Gelb im Gespann mit FDP-Fraktionschef Christof Rasche verlässlich organisiert. Dazu noch der amtierende Landtagspräsident Andre Kuper (59), ehemaliger Bürgermeister von Rietberg und 2017 aus dem Wahlkreis 96 (Langenberg, Rheda-Wiedenbrück, Rietberg, Verl und Schloß Holte-Stukenbrock) hervorgegangen.
Die Auswahl ist also nicht sonderlich groß bei einem schnellen Übergang, der dann organisiert werden müsste, wenn Laschet zugleich CDU-Chef würde und ab 2021 bis in den Oktober hinein in einen Bundestagswahlkampf ziehen müsste. Dass Laschet dann zeitgleich sein NRW-Regierungsamt behalten würde, ist wegen des inhaltlichen Aufwands und auch ob des Risikos für seine Partei in NRW bei knappen Mehrheitsverhältnissen extrem unwahrscheinlich.
Anders als das das SPD-Urgestein Johannes Rau aus Wuppertal 1987 übrigens anpackte. Rau ging damals als amtierender NRW-Regierungschef in eine Bundestagswahl gegen Helmut Kohl und verlor - blieb aber auch danach noch Ministerpräsident in NRW, ehe er später Bundespräsident statt Bundeskanzler wurde.
Auch andere Ministerpräsidenten wagten sich auf das Wahlparkett im Bund - und rutschten fast ausnahmslos aus: Oskar Lafontaine (SPD) aus dem Saarland 1990, Rudolf Scharping (SPD) aus Rheinland-Pfalz 1994, beide im Duell mit Helmut Kohl. Auch Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) verlor 2002 gegen Gerhard Schröder (SPD). Selbst Franz-Josef Strauß (CSU) ist aus Bayern heraus 1980 dem Nordlicht Helmut Schmidt (SPD) unterlegen. Und auch Kohl selbst verlor als Landeschef aus Rheinland-Pfalz 1976 gegen eben jenen Schmidt. Allesamt Warnungen für Armin Laschet, zumal tatsächlich noch nie in der Geschichte ein amtierender NRW-Ministerpräsident zum Kanzler gewählt wurde? Allein Kurt Georg Kiesinger (CDU) 1966 aus Baden-Württemberg und Gerhard Schröder 1998 aus Niedersachsen gelang der direkte Sprung vom Stuhl des Landeschefs auf den des Bundeskanzlers.
Dass innerhalb der CDU in Nordrhein-Westfalen kein Politiker ohne Landtagsmandat für eine potenzielle Laschet-Nachfolge infrage käme, ist einer echten Besonderheit zu verdanken. Denn in die NRW-Landesverfassung wurde mit Einführung der im Juni 1950 vor 70 Jahren ein Passus integriert, der genau das einfordert - als nationale Besonderheit: „Der Landtag wählt aus seiner Mitte in geheimer Wahl ohne Aussprache den Ministerpräsidenten mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder." So lautet der entsprechende Artikel 52 der NRW-Landesverfassung, der die Karriere von Hendrik Wüst durchaus möglich machen könnte. Allerdings hat Wüst auch Gegner: Der Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung in NRW gilt beim öffentlichen Auftritt bisweilen noch als etwas spröde, sein smarter Auftritt wird bisweilen als leicht arrogante Haltung interpretiert. Als Landesvater müsste Wüst deshalb einen Schnellkurs belegen.
Eine Karriere hat der besondere Passus aus NRW in der Vergangenheit derweil auch schon beendet, bevor Sie gestartet war: Als Kanzler Schröder dereinst den NRW-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement als Superminister in das Bundeskabinett berief, blieb der damalige SPD-Landeschef Harald Schartau in NRW auf der Strecke. Der damalige NRW-Arbeitsminister sollte auf Sicht Clement beerben, hatte aber beim plötzlichen Wechsel Clements noch kein Landtagsmandat und musste also 2002 deshalb dem seinerzeit unbekannten Peer Steinbrück den Vortritt beim Sprung auf den Stuhl des Ministerpräsidenten lassen. Der Duisburger Schartau, heute 66 Jahre alt, stieg später aus der Politik aus und wurde Geschäftsführer der Georgsmarienhütte GmbH. Steinbrücks Amtszeit endete nach nur drei Jahren. Dann verlor er im Juni 2005 die Wahl gegen Jürgen Rüttgers (CDU) - und wurde hernach Finanzminister im Kabinett von Angela Merkel (CDU).