Zu wenig Angebote Männliche Gewaltopfer sollen in NRW mehr Hilfe bekommen
Düsseldorf · Das Land NRW plant neue Angebote für männliche Opfer von Gewalt – auch Schutzwohnungen. Das ist wichtig, weil aus Opfern ohne Hilfe häufig wiederum Gewalttäter werden.
Wenn im Zusammenhang mit Gewalt über Männer gesprochen wird, dann sind diese meist Täter. Aber Männer werden auch Opfer von Gewalt. Viele von ihnen berät die NRW-Opferschutzbeauftragte Elisabeth Auchter-Mainz. Im Gleichstellungsausschuss des Landtags berichteten sie und eine weitere Expertin und zeigten: Egal ob männliches Opfer oder männlicher Täter – es gibt für sie viel zu wenig Angebote.
Eines schickte die für Gleichstellung zuständige Ministerin Ina Scharrenbach (CDU) gleich voraus: An diesem Angebot wird in NRW aktuell gefeilt. Im Haushalt 2020 würden die Mittel auf 200.000 Euro verdoppelt. So sei die Einrichtung einer speziellen Hotline für männliche Gewaltopfer vorgesehen. Außerdem sind modellhaft erste Schutzwohnungen für Männer vorgesehen – ähnlich dem Konzept der Frauenhäuser.
70 Kilometer zur Beratung – das schafft ein Gewaltoper nicht
Ein Fortschritt, den Auchter-Mainz ausdrücklich begrüßt. Denn beim Mann als Opfer werde gegen ein Tabu angekämpft. Immerhin: „Es gibt jetzt ein Umdenken“, glaubt sie. „Wir sind in NRW auf einem guten Weg.“ Das sei auch wichtig, denn Gewalterfahrung wirke bei Männern ebenso wie bei Frauen, ist sie sicher: „Das sitzt genau so tief, das brennt genau so sehr.“
Auswuchs dieses Umdenkens ist bereits, dass sich einzelne Anlaufpunkte speziell für Männer im Land entwickelten. „Aber es sind sehr, sehr wenige“, sagt die Beauftragte. Einem Mann habe sie mal in eine Beratungsstelle vermitteln müssen, die 70 Kilometer entfernt von seinem Wohnort lag – er winkte ab, das konnte er nicht bewältigen.
Die Opfer, die sich bei Auchter-Mainz und ihren Mitarbeiterinnen melden, sind in der Regel ab 25 Jahre alt. Man habe aber auch schon etwa die Mutter von jugendlichen Zwillingen begleitet, die beide bei einem Diskobesuch von Schlägern schwerstverletzt und nur durch Notoperationen gerettet wurden. Eine sehr große und weiter wachsende Gruppe sei die der ehemaligen Heimkinder. Hoch belastet, oft am Existenzminimum. „Die sind ihr Leben lang nicht auf die Beine gekommen“, berichtet die Expertin. Und es gebe sehr wenig, was man jetzt noch tun könne, um das Leid zu lindern.
Forscher schockiert über Ausmaß der Gewalt im öffentlichen Dienst
Einen wissenschaftlicheren Blick auf das Phänomen wirft im Fachausschuss Marion Steffens vom Kompetenzzentrum Frauen & Gesundheit, die – in Ermangelung einer solchen Stelle für männliche Gesundheit – untersucht, welche Auswirkungen Gewalterfahrung auf Männer hat. Sie war an einer exklusiven Studie mit der Uniklinik RWTH Aachen zwischen Juni 2016 und Mai 2019 beteiligt, die herausfand: „Gewalt macht auch Männer krank – von Frauen wissen wir das ja schon länger“, so Steffens. So liege die Gefahr einer posttraumatischen Belastungsstörung siebenmal höher, die Suizidgefährdung 6,5-mal. „Das sind erhebliche Zahlen.“
Bei einer Befragung von Männern in Kliniken kam heraus, dass nur 57 Prozent der Männer und somit etwas mehr als die Hälfte in NRW gar keine Gewalterfahrung hatten. Vier Prozent gaben anonym an, Gewalt auszuüben, 17 Prozent, sie erlebt zu haben – und bei 21 Prozent traf beides zu. Der Zusammenhang von Gewalterfahrung und -ausübung sei groß: Bei denen, die zwischen 13 und 20 Jahren selbst misshandelt wurden, ist die Rate der Gewalttäter am höchsten.
Als am belastendsten wird dabei nicht physische Gewalt empfunden, sondern psychische und sexuelle Gewalt. Interessant: Der Großteil der Taten geschah nicht in der Paarbeziehung, sondern im öffentlichen Raum oder am Arbeitsplatz. „Es hat uns schockiert, wie hoch die Gewaltbelastung bei Mitarbeitern im öffentlichen Dienst ist“, so Steffens.
Die Expertin liefert eine Menge Hinweise, was es in NRW noch zu tun gibt. So müsse es Gewaltschutzkonzepte vor allem im öffentlichen Dienst geben, Aufklärung in Sportvereinen, Beziehungskompetenz-Trainings für Heranwachsende. Aber auch Angebote für „gewaltaktive Männer“, die ihr Verhalten ändern wollen. Diese würden bisher fast ausschließlich von Gerichten angeordnet und seien somit „sehr hochschwellig“. Dabei gebe es bei vielen, die freiwillig ihre eigene Gewaltspirale durchbrechen wollen, eine hohe Motivation.
Dieser Punkt ist Steffens wichtig: „Gewalt ist nicht genetisch. Und deshalb müssen wir auch nicht vor Gewalt kapitulieren.“ Aber sie erfordere eine sachliche Auseinandersetzung und könne nicht unter dem simplen Label „toxischer Männlichkeit“ abgetan werden, unter dem die Diskussion aktuell so gerne laufe. Männer, so ihre Botschaft, sind nicht Gewalttäter, weil sie Männer sind. Sondern aus vielen anderen Gründen, gegen die etwas getan werden kann und muss.