NRW "Man muss sich wehren" - Jäger und die Pöbelpartei aus dem Internet
Sie werden beleidigt, beschimpft, teilweise werden Politiker in Kommentaren über die sozialen Medien sogar bedroht. Sollen sie das akzeptieren? Ertragen? Oder sich wehren? NRW-Innenminister Ralf Jäger versucht es im Gespräch. Nicht alle kann er damit überzeugen.
Düsseldorf. Renate Künast versucht es ironisch: „Hauen Sie einen raus. Seien Sie kreativ“, schreibt die Grünen-Politikerin auf ihrer Facebookseite an ihre Gegner und gibt unter dem Stichwort „Hass-Tool“ „Hinweise, die Ihnen das Schreiben und mir das Lesen erleichtern“. Während die Bundespolitikerin ironisch mit den Hasskommentatoren und Hetzern abrechnet, hat es der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) mit einem Gespräch probiert.
In seiner Rolle als Landtagsabgeordneter muss der SPD-Minister so Einiges ertragen auf seiner Facebook-Seite. „Früher wurden solche Leute an die Wand gestellt“, schreibt sich jemand den Frust von der Seele. „Du bist ein Versager für uns hier im Pott!!!“, schnauzt ein anderer. Ein weiterer attestiert: „Jede Kröte schlucken, bloß an der Macht bleiben, nur nicht in die Opposition gehen, Machterhalt um jeden Preis auch wenn die Bevölkerung geopfert wird. Und ein Dritter schlägt eine „Videobeobachtung in Ralf Jägers Büro“ vor, „denn er ist die weitaus größere Gefahr für uns alle“.
Viele Politiker lassen Hass und Hetze über sich ergehen, andere wie die Grünen-Bundesvorsitzende Katrin Göring-Eckardt und auch Künast lesen die Kommentare von ihrer Facebookseite vor der Kamera vor und stellen die Filmchen ins Netz. Jäger hat 23 Autoren über Facebook angeschrieben und zum Gespräch eingeladen, nur drei haben sich auf das Angebot eingelassen. Mal hat einer keine Zeit, mal befürchtet einer, er könne rhetorisch nicht mithalten. „Mich beschäftigt seit längerem die Frage, wie die Leute, die auf meine Postings regelmäßig mit Häme und Pöbelei reagieren, wohl so drauf sind, wenn ich sie persönlich treffe“, sagt Jäger der dpa.
„Offen und ehrlich“ sei das rund eineinhalbstündige Gespräch mit dem Trio - zwei Männer und eine Frau - gewesen. „Es ist eben etwas ganz anderes, wenn man sich gegenübersitzt und in die Augen sieht. Da sitzen die Beleidigungen dann nicht mehr so locker.“ Natürlich sei die Runde nicht mit einer gemeinsamen Meinung auseinandergegangen. „Aber wir konnten uns austauschen und in der einen oder anderen Sache konnte ich auch überzeugen.“
Einige der Autoren, die auf seine Posts teils regelmässig mit Pöbeleien reagieren, seien äußerst überrascht gewesen. „Solche Menschen fühlen sich am wohlsten in ihrer Anonymität. Und genau dort müssen wir sie rausziehen“, sagt Jäger. Auch für ihn gibt es allerdings eine Schmerzgrenze. „Man muss und man darf sich nicht alles gefallen lassen.“ Dutzende Strafanzeigen wegen Beleidigung und Volksverhetzung habe er bereits gestellt. Das Ergebnis: in zwei Fällen wurden Ordnungsgelder verhängt.
Der Hamburger Blogger und Politikberater Martin Fuchs bezeichnet die Aktion als „großartig und sehr souverän“. Die Erfahrungen zeigten, dass viele Hater nicht mit einer Reaktion rechneten und sich nur in ihrem Vorurteil bestätigt fühlen wollen, die Politik verstehe die Ängste der Bürger nicht mehr. „Wenn dann doch mal eine Reaktion kommt, sind die Bürger meist sehr positiv überrascht. Das Gespräch kann also Brücken bauen“, sagt Fuchs.
Für Kommunikationswissenschaftler Frank Marcinkowski aus Münster haben Flüchtlingsfrage und die Übergriffe in der Silvesternacht die Aggression deutlich verstärkt. In der politischen Auseinandersetzung, bei Kundgebungen sei „ungeheure Wut“ im Spiel. Und das Netz biete einen „riesigen Resonanzraum“. Da lässt sich eine ganz andere Wirkung erzielen als am Stammtisch in überschaubarer Runde. Die „sozialen Medien“ Facebook und Co. sollten so nicht heißen, sagt der Experte, denn: „Faktisch tobt sich in den sogenannten sozialen Medien eben auch Asozialität aus, nämlich gesellschafts- und gemeinschaftsschädigendes Verhalten.“
Während Innenminister Jäger auf Livestream-Bürgerstunden und das direkte Gespräch ebenso zurückgreift wie auf gelegentliche Debatten über die Kommentarfunktion, antwortet der Chef der NRW-CDU Armin Laschet nach Parteiangaben auf einzelne Hasspöbler persönlich. „Ich beantworte jede Kritik, und sei sie noch so scharf“, sagte Laschet der dpa. „Politik muss zuhören, selbst, wenn es weh tut.“ Eine Ausnahme macht der CDU-Landesvorsitzende dann aber doch: „Wenn sich jemand auf Beleidigungen beschränkt, nutze ich die Zeit lieber für diejenigen, die ernsthaft diskutieren wollen.“
So weit wie Renate Künast lehnen sich beide nicht aus dem Fenster: Die Berliner Politikerin stand im vergangenen Herbst sogar unangemeldet vor mehreren Haustüren und stellte Leute zur Rede, die sie im Netz beschimpft hatten.