Mona Neubaur über die Sondierungsgespräche: „Es gilt, Neuwahlen zu vermeiden“

Mona Neubaur, NRW-Vorsitzende der Grünen, über die Sondierungsgespräche in Berlin, die Erneuerung der Landespartei und ihre Lust, diesen Klärungsprozess mitzugestalten.

Düsseldorf. Eigentlich wollte die grüne Landesvorsitzende Mona Neubaur (40) Donnerstag zur Bundesdelegiertenkonferenz ihrer Partei nach Berlin aufbrechen. Die ist verschoben. Dafür erhält Neubaur jetzt bis zum Wochenende in der Bundeshauptstadt unmittelbare Rückmeldungen aus dem Kreis der 14-köpfigen grünen Sondierungsgruppe. Vor der Abfahrt in Düsseldorf war ihre Spannung unverkennbar.

Foto: Sergej Lepke

Frau Neubaur, am Freitag gehen die Sondierungsgespräche erstmals in großer Runde weiter. Was erwarten Sie?

Mona Neubaur: Ich glaube, in den ersten Runden ist es gut, erst einmal auf einer menschlichen und atmosphärischen Ebene zueinanderzufinden. Es gab ja im Wahlkampf deutliche Abgrenzungen voneinander.

Hat es Sie als gebürtige Bayerin überrascht, dass ausgerechnet Herr Seehofer mit seinen Besuchen bei FDP und Grünen zuvor eine Charmeoffensive gestartet hat?

Neubaur: Auf dem bayerischen Dorf ist es so, dass auch der starke Zustrom an Flüchtlingen nüchtern und pragmatisch erledigt wird. Der Bayer an sich ist nicht rassistisch. Was die Menschen in Bayern nicht mögen, ist, wenn einer groß die Klappe aufreißt und dann nix nach Hause bringt. Das war für viele Bayern frustrierend und auch darum hat Seehofer so dramatisch verloren. Klar ist: Die Logik, mit der CSU nach rechts zu laufen, um die AfD kleinzuhalten, ist nicht aufgegangen. Wer weiterhin der AfD nach dem Mund redet, kann nicht mit uns in ein Jamaika-Bündnis einsteigen.

Was muss passieren, damit der Bundesparteitag der Grünen nach der Sondierung Koalitionsverhandlungen zustimmt?

Neubaur: Wir müssen klarmachen, dass es mehr Klima- und Umweltschutz gibt, unser Land gerechter wird und wir Europa stärken, weil die Grünen mit am Tisch saßen. Das sieht man übrigens auch, wenn man die Koalitionsverträge von Schleswig-Holstein, wo die Grünen mitverhandelt haben, und NRW miteinander vergleicht.

Alle sagen, es wird schwierig. Rechnen Sie mit einer Hängepartie?

Neubaur: Die Beteiligten sind gut beraten, zügig und lösungsorientiert zu verhandeln. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, auf der großen Bühne taktische Spielchen zu zelebrieren. Wir haben ein Wahlergebnis, das sich keiner der Beteiligten vorher gewünscht hat. Aber wir Grünen nehmen diese Herausforderung an. Jetzt gibt es eine große Verantwortung, ernsthaft zu versuchen, eine Lösung zu finden. Und so nehme ich auch die Diskussion in unserem Landesverband wahr.

Sind trotzdem im Extremfall Neuwahlen eine Option?

Neubaur: Durch den Einzug der AfD ist allen klar: Wir müssen Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Parteien zurückgewinnen. Darum sind alle aufgerufen, sich zusammenzuraufen, um Neuwahlen zu vermeiden.

Die NRW-Grünen befinden sich in Opposition zu Schwarz-Gelb, im Bund wird an Jamaika gebastelt. Ist das nicht für Sie ein schwieriger Spagat?

Neubaur: Es ist auf alle Fälle ein Spagat. Aber ich bin nicht Vorsitzende, um zu jammern, wenn es mal schwierig wird. Es kann eine Chance sein. Nämlich dann, wenn eine mögliche Jamaika-Regierung im Bund als Korrektiv zum Rückschritt in NRW auftritt. Denken Sie an die Energiewende, die Windenergie. Wenn die Grünen da auf Bundesebene mitbestimmen, wo die Reise hingeht, kann das auch für NRW hilfreich sein.

Nach der Wahlniederlage haben die NRW-Grünen eine inhaltliche und strukturelle Erneuerung angekündigt. Dann kamen die Bundestagswahlen, jetzt die Jamaika-Gespräche. Fällt die Erneuerung hintenüber?

Neubaur: Auf keinen Fall. Wir arbeiten seit der Landtagswahl intern permanent daran, das Ergebnis zu analysieren und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Ich will in den nächsten Jahren dazu beitragen, dass grüne Werte in NRW anschlussfähig sind und wir wieder deutlich mehr Menschen begeistern. Wir sind notwendig und erleben gerade auch einen irrsinnigen Zuwachs an Neumitgliedern, in NRW mehr als 300 allein seit der Bundestagswahl. Denen müssen wir zeigen, dass wir eine attraktive, basisdemokratische Partei sind mit vielfältigen, verbrieften Mitgestaltungsmöglichkeiten. Und wenn Ministerpräsident Armin Laschet behauptet, mit den Grünen drohe eine Deindustrialisierung, ist er so weltfremd wie SPD und FDP hier. Die Zukunft der Industrie in NRW ist grün. Und die Herausforderung ist es, neue Geschäftsideen von Start-ups zu Klimakrise, Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Verkehr mit der Großindustrie und dem Mittelstand zusammenzubringen und nicht gegeneinander zu arbeiten. Da müssen auch wir nach den Erfahrungen der sieben Regierungsjahre schauen, dass wir besser anschlussfähig werden.

Und wie soll die strukturelle Änderung erfolgen? Im Januar wird der Nachfolger für Sven Lehmann gewählt, im Sommer dann turnusgemäß der Landesvorstand. Für eine mögliche Satzungsänderung ist das ein enger Zeitplan.

Neubaur: Erste Modelle haben wir intern schon vorgestellt. Jetzt tragen wir die Rückmeldungen zusammen, um Ende des Jahres zu entscheiden: Ist eine Satzungsänderung möglich und nötig, auf deren Basis wir dann im Juni wählen würden? Das ist sehr ambitioniert. Aber wir stellen fest, dass aus der Partei weiter der Wunsch nach mehr Vernetzung der Ebenen besteht und wir über eine Rollenklärung zwischen dem Landesvorstand und einem möglichen neuen Parteirat unsere Ziele besser umsetzen können.

Für die Nachfolge Ihres Co-Vorsitzenden Sven Lehmann gibt es mit Felix Banaszak und Wolfgang Rettich schon zwei Bewerber: Kampfkandidatur oder normaler demokratischer Prozess?

Neubaur: Das hat bei uns doch gute Tradition. Mehrere Kandidaturen für einen Listenplatz oder ein Amt sind nichts, was uns schaudern lässt. Es ist gut, wenn sich unterschiedliche Menschen anbieten und die Mitglieder eine Auswahl haben.

Was sind Ihre eigenen Pläne über das Ende Ihrer Amtszeit im kommenden Juni hinaus?

Neubaur: Ich habe es immer so gehalten, dass ich über wichtige Dinge, die meine Person und meine Ambitionen betreffen, zuerst die Mitglieder informiere. Es gibt viel zu tun und ich sehe in der Rolle als Oppositionspartei und in der Möglichkeit programmatischer Klärungsprozesse eine spannende Aufgabe, der ich mich gerne stelle.

Sehen Sie sich als Landesvorsitzende nach dem Ergebnis der Landtagswahl geschwächt?

Neubaur: Ich habe in jedem Fall einen Teil Verantwortung für das Ergebnis mitzutragen und nehme das auch an. Aktuell sehe ich meine Aufgabe darin, den Aufarbeitungsprozess zu steuern und auch nicht nachzulassen. Dass ich dabei dem einen oder der anderen auf die Füße trete, sieht man an manchen anonymen Vorwürfen in der Presse. Aber das hält mich von der Aufarbeitung nicht ab. Wir müssen klären, warum es uns trotz einer so starken Ausstattung mit drei Ministerien, fast 30 Landtagsabgeordneten und einem 20-köpfigen Landesvorstand nicht gelungen ist, die grüne Sache zu stärken. Und wir müssen uns stärker als bisher den Menschen zuwenden. Auch wenn unsere Positionen nicht direkt geteilt werden, können wir in diesen Gesprächen dazulernen. Da gibt es viel zu tun und ich habe Lust darauf, bei den Grünen daran weiter an führender Stelle mitzuarbeiten. Natürlich gibt es aber innerhalb der Partei auch Beharrungskräfte.

Wie stark schätzen Sie die Bestrebungen im Landesverband ein, nach der eher realpolitischen Phase von Rot-Grün wieder stärker nach links zu rücken?

Neubaur: Es gibt den Wunsch innerhalb der NRW-Grünen, dass wir die politische Kraft des Fortschritts sind, also eine progressive Partei. Und jetzt gilt es herauszufinden, wie wir eine Partei des Minderheitenschutzes bleiben, uns dafür aber auch Mitstreiter in der Gesellschaft suchen. In der Demokratie geht es doch darum, Kompromisse zu finden und nicht den Sieg über die anderen zu erringen. Im besten Fall gewinnen wir durch eine überzeugende, zugewandte Auseinandersetzung und den Dialog die Sicherheit, um die anstehenden Veränderungen als widerstandsfähige und demokratische Gesellschaft zu bestehen.

Welche Rolle spielt die Fraktion bei der Erneuerung? Das neue Führungsduo scheint gut zu funktionieren, aber es bleibt der Makel, dass sich unter den 14 Abgeordneten nur ein neues Gesicht befindet.

Neubaur: Der Erneuerungsprozess macht sich doch nicht nur an Köpfen fest. Wie werden uns daran messen lassen müssen, ob in der Opposition neue Ideen aus der Fraktion kommen. Und da habe ich gute Hoffnung.

Mit dem Ziel, 2022 wieder eine Regierungsbeteiligung zu erreichen?

Neubaur: Wir haben im Mai eine schlimme Wahlschlappe erlebt. Aber wir haben weiterhin einen Gestaltungsanspruch. Wir machen keine politische Arbeit, um für uns recht zu haben, sondern weil wir in NRW gestalten wollen.

Und in fünf Jahren ist dann Jamaika auch in NRW salonfähig?

Neubaur: Die Grünen sind eine eigenständige, relevante politische Kraft, die in fünf Jahren bestenfalls wieder mitgestalten kann.