Nordrhein-Westfalen "NRW ist mehr als Düsseldorf" - Wie Laschets Kabinett sich volksnah gibt
Mit seiner ersten Arbeitssitzung in Münster schmeichelt das neue Kabinett dem Westfälischen - und holt sich noch eine große Portion Geschichte ab.
Münster. Auch Richard Halberstadt ist gekommen. CDU-Mitglied. Seit 1999 münsterischer Ratsherr. Sozialpolitischer Sprecher. Und erster Mann an der Spitze des Gleichstellungsausschusses. Aber jetzt ist er vor dem Historischen Rathaus nur Zaungast - für den Aufmarsch des neuen NRW-Kabinetts. Im Falle des Wahlsieges die erste Sitzung in Münster, das war Armin Laschets Versprechen gewesen, beim Wahlkampfauftritt mit Angela Merkel am 27. April in Oelde. Jetzt will Halberstadt sehen, ob wirklich alle da sind. „Und vielleicht ist der Besuch in Münster für sie auch eine kleine Erleuchtung.“
Womöglich nicht erleuchtet, aber doch strahlend betritt Umweltministerin Christina Schulze Föcking als Erste die Szenerie am Prinzipalmarkt. Als der örtliche CDU-Agrarausschuss handgemalte Plakate zur Begrüßung hochhält, überkommt sie gar ein Anflug von Rührung. Für die 40-jährige Landwirtin aus dem benachbarten Steinfurt ist die Sitzung ein Heimspiel. Das gilt auch für den neuen Verkehrsminister Hendrik Wüst. In Münster hat er studiert und seine erste Wohnzimmer-Kanzlei eröffnet. Jetzt schiebt er den Stau auf der Einfallsstraße noch grinsend Amtsvorgänger Michael Groschek (SPD) in die Schuhe. Diesmal funktioniert der Gag noch. Vielleicht in einem Jahr schon nicht mehr.
Aber vom Ernst des Politikgeschäfts will sich heute niemand einholen lassen. Weder Arbeitsminister Karl-Josef Laumann noch Innenminister Herbert Reul noch Justizminister Peter Biesenbach. Ministerpräsident Armin Laschet ist erst der Sechste im Bunde. Ein bisschen Applaus brandet auf, auch der Mann aus Aachen strahlt und fühlt sich ob der historischen Bedeutung Münsters an seine Heimatstadt erinnert. Und wo ist der Rest? Als Laschet das Lublinzimmer in der ersten Etage des Rathauses erreicht hat, sind auch die zwölf Ministerinnen und Minister samt Staatssekretären wie von Zauberhand um den Tisch versammelt. Da müssen einige den Hintereingang benutzt haben. Richard Halberstadt kann beruhigt sein.
Wie leistungsfähig ist das neue Kabinett in einer Stunde? Zumindest für das angekündigte Moratorium zum Erhalt der Förderschulen reicht die knappe Zeit. Den Erlass zur vorläufigen Aufhebung der Mindestschülerzahlen muss jetzt Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) auf den Weg bringen. Ansonsten wird die Bundesratssitzung vorbereitet - und dann ist endlich Raum für die Wucht der Geschichte.
Friedenssaal, Westfälischer Frieden nach 30 Jahren Krieg in Europa, Friedensschluss zwischen den Niederlanden und Spanien nach 80 Jahren Krieg. „Hier wurde ein Krieg beendet, der als nicht beendbar galt“, sagt Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU). Und während er mit der Souveränität des lokalen Hausherren die große Weltläufe streift, wirkt die aufgereihte neue Regierung ein bisschen wie ein eingeschüchterter Leistungskurs auf Geschichtsexkursion. Manchmal kann die Last der übernommenen Verantwortung auch in der Gestalt meisterlicher Porträtmaler daherkommen: 37 Gemälde der wichtigsten Verhandlungsführer des Westfälischen Friedens blicken auf die Köpfe des Laschet-Kabinetts herab. Die da oben haben ihr Werk schon vollbracht. Die da unten stehen noch am Anfang.
Laschet macht es kürzer und holt die Zuhörer wieder in die Gegenwart. Ein Signal sei der Besuch, um zu zeigen, dass NRW nicht nur aus Düsseldorf und Köln bestehe, sondern auch aus Westfalen. Und dann räumt er zum wiederholten Mal mit dem Trecker-Klischee vom ländlichen Raum auf. Das größte Wachstum habe die Region zu bieten, globale Spitzenunternehmen und mit Münster eine „herausragende Universitätsstadt“.
Schließlich schlägt er noch den Bogen von der Wiege der unabhängigen Niederlande zu seinem Vorhaben, die Zusammenarbeit Nordrhein-Westfalens mit den Benelux-Staaten wieder zu intensivieren. Das ist nicht neu, aber wo, wenn nicht hier, böte es sich an, diesen europäischen Gedanken zu bekräftigen?
Damit ist alles gesagt und vor dem Goldenen Buch der Stadt bekommt es der Ministerpräsident noch mit dem Goldenen Hahn zu tun. Einem fetten Hahn auf ihren Mauern soll die Stadt es der Legende nach zu verdanken haben, dass die Belagerer von ihr abließen, weil sie noch reichliche Vorräte innerhalb der Stadtmauern vermuteten. Seither ist es eine besondere Ehre, aus dem vergoldeten Gefäß trinken zu dürfen.
„Woher ist unser Wein noch mal?“, fragt der OB seine Mitarbeiter. „Auf jeden Fall neuer Wein“, lautet die achselzuckende Antwort. Laschet kann gefahrlos ansetzen. Das war es. Für die Stadt bleibt die Freude, in Düsseldorf nicht vergessen zu sein. Aber eine Premiere war der Regierungsbesuch nicht. Bereits im April 2000 hatte sich der damalige Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) mit seinem Kabinett in Münster eingefunden. Und erst im vergangenen Februar waren noch ganz andere Düsseldorfer Gäste vor Ort: Der deutsche Rekord-Tischtennismeister Borussia richtete sein Heimspiel gegen Saarbrücken in der münsterischen Sporthalle Berg Fidel aus. Warum? Um den vielen Fans im Münsterland seine Wertschätzung zu beweisen. So nah können sich die Motivlagen von Landespolitik und Tischtennis sein.