Analyse Politik oder Krawall? Was die AfD im NRW-Landtag macht

Das erste parlamentarische Jahr mit der AfD im Landtag ist vorbei. Politische Ergebnisse generierte sie nicht — aber viele Videos.

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Düsseldorf. Ein zarter Schleier der Ermüdung scheint sich über das Plenum im Düsseldorfer Landtag zu legen, als der Redner zum Pult schreitet. Und es liegt wohl nicht daran, dass es eine der letzten Debatten vor der Sommerpause ist. Helmut Seifen von der AfD-Fraktion hat das Wort — und die Köpfe in den anderen Fraktionen senken sich. Es hat den Anschein, als würden die nächsten Minuten genutzt, um endlich mal etwas Papierkram zu erledigen.

Mit dem Start in die Ferien ist in NRW das erste parlamentarische Jahr mit jener neuen Fraktion zu Ende gegangen, über die sich viele vor und nach der Wahl so viele Sorgen gemacht hatten. Wollen die Abgeordneten tatsächlich mitarbeiten? Echte Politik machen? Oder nur Krawall? Zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit könnten Antwort geben. Beispiel eins: Anfang Juni nutzte die AfD im Bundestag ihre Redezeit für eine Schweigeminute im Gedenken an Susanna (14) aus Wiesbaden, die von einem irakischen Flüchtling getötet worden sein soll — und erntete harsche Kritik.

Wenige Tage später beantragte die AfD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag eine Schweigeminute für die Opfer sexueller Gewalt in NRW. Für alle vier anderen Fraktionen trat Sarah Philipp von der SPD ans Rednerpult und warf den Antragstellern eine Instrumentalisierung der Opfer vor: „Es geht Ihnen wie so oft nicht um die Sache, sondern um den medialen Effekt und Ihre Selbstdarstellung.“ Der Antrag wurde abgeschmettert.

Beispiel zwei: Im Landtag ist es guter Brauch, dass jede Fraktion pro Legislaturperiode eine Enquete-Kommission einsetzen darf. Unmittelbar vor der Sommerpause beantragte die AfD eine solche Kommission unter dem Titel „Parallelgesellschaften und drohende No-Go-Areas“. Matthias Kerkhoff (CDU) nannte den Antrag „oberflächlich“, eine Aneinanderreihung von Versatzstücken, letztlich den „Versuch der Provokation“. Die AfD sei doch gar nicht daran interessiert, hinter verschlossener Tür zwei Jahre lang ernsthaft zu arbeiten — das passe nicht zu den „Empörungsritualen“ der Partei. Grüne und SPD lehnten den Antrag ab, CDU und FDP enthielten sich, die Kommission kam nicht zustande. „Das ist ziemlich einmalig“, sagt ein langjähriger Beobachter im Landtag.

Das Scheitern im politischen Prozess indes muss für die AfD nicht auch ein Scheitern als Partei bedeuten. Auf dem reich bespielten Youtube-Kanal der Landtagsfraktion lacht Fraktionschef Markus Wagner nach dem Scheitern der Enquete-Kommission fröhlich in die Kamera, plaudert süffisant über eine „Sternstunde des Parlamentarismus“ und wendet sich am Ende direkt an die Einwohner von Städten mit vermeintlichen Parallelgesellschaften, die bitte daran denken mögen, dass CDU, FDP, SPD und Grüne nichts für sie tun.

Sind die Redebeiträge der AfD gar nicht als Beitrag im politischen Diskurs gedacht, sondern letztlich Futter für diesen Internetkanal? Clever zusammengeschnitten, mit Begriffen wie „grüne Nazis“ und „Wir-schaffen-das-Merkel“ gespickt — und vor allem: ohne Bewertung durch Medien direkt für die Klientel zugänglich.

Auch von der Pressekonferenz zur einjährigen Landtagszugehörigkeit der AfD gibt es einen Film — mit dem skeptischen Hinweis, man wisse schließlich nicht, was die Medien von den Inhalten transportierten. Darin lernt man, dass in der Fraktion durchaus gearbeitet werde: 277 kleine Anfragen habe die AfD gestellt (pro Kopf die meisten im Landtag), dazu 31 Anträge, obwohl einem der Weg zu fraktionsübergreifenden Anträgen ja verwehrt sei; Seifen spricht von einer „Diffamierungskampagne der Altparteien“. Und man habe doch auch wirklich mehr Themen zu bieten als Flüchtlinge — obwohl die „Massenzuwanderung“ natürlich, so der Abgeordnete Roger Beckamp, „die große Klammer“ sei.

Genau davon haben viele im Landtag genug. Es gibt Politiker, die beteuern, in Sachfragen durchaus zur Kooperation mit der neuen Fraktion bereit zu sein. Das aber scheitere am immergleichen Inhalt, an Ressentiments und fahrig formulierten Anträgen, hört man; einer findet klare Worte: „Das nervt!“ In der letzten Plenarwoche wollte die AfD mit einer Pressekonferenz im Landtag auf ihre Themenpalette aufmerksam machen — eine Seltenheit. Zwei Journalisten nahmen teil, es ging um drei Punkte: die Sicherung der Westgrenze NRWs, das Programm „Fit4Return“, das Flüchtlinge nach der Rückkehr in ihr Heimatland zu dessen Wiederaufbau befähigen soll statt sie zu „zwangsintegrieren“, und die Bekämpfung von Linksextremismus. So weit, so wenig überraschend.

Isoliert ist die AfD nicht nur politisch, sondern auch persönlich. Man wünsche sich „Guten Tag, guten Weg“, heißt es. Nicht mehr. Spätestens seit der Syrienreise von AfD-Mann Christian Blex im März — bei der er Vertreter des Assad-Regimes traf und aus einem Café twitterte: „Während sogenannte syrische ,Flüchtlinge’ aus #Homs auf Kosten d. deutschen Steuerzahlers in Berlin Kaffee trinken, trinken wir ihn auf eigene Kosten in Homs“ — ist für viele der Ofen aus.

Trotzdem hat die AfD etwas gemacht mit dem Landtag. Der Ton sei insgesamt rauer geworden, konstatiert einer. Es gebe schon sehr oft „Debatten mit Puls jenseits der 180“, sagt ein anderer. Man habe zwar gelernt, seine Redezeit nicht mehr mit dem Reiben an AfD-Inhalten zu vergeuden, man springe nicht mehr über jedes Stöckchen. Dennoch: „Mehr Spaß macht es nicht“, gibt ein Abgeordneter zu.

Und doch muss man sich in Sachfragen immer wieder auseinandersetzen. Das wissen die Politiker alle. Denn der Eindruck „Alle gegen die AfD“ lasse sich gut vermarkten — und vermarkten, das wird der neuen Fraktion einhellig attestiert, kann sie. Mit einem Zweitstimmenanteil von 7,4 Prozent zog die AfD im vergangenen Jahr in das Landesparlament ein. Seither ist jeder einzige ihrer politischen Vorstöße abgeprallt. Und doch lag sie bei der letzten Erhebung von Infratest dimap zur Sonntagsfrage im Mai bei zwölf Prozent in NRW — gleichauf mit den Grünen und drei Punkte über der FDP. Auch das bereitet den anderen Abgeordneten im Landtag ganz sicher keinen Spaß.