Berlin. Sie wolle "mal ein paar Namen von sehr erfolgreichen Mitbürgern vorlesen", sagte Kanzlerin Angela Merkel und legte los: Mario Gomez, Oliver Neuville, Miroslav Klose, Kevin Kuranyi, Lukas Podolski.
Hinter jedem Namen sah Merkels Redemanuskript ein Ausrufezeichen vor. Der deutsche Sturm bei der Fußball-EM zeige, so Merkel, "welche Leistungsbereitschaft in uns steckt, auch in den Menschen steckt, deren Wurzeln über Deutschland hinausreichen".
Merkels Rede zum Festakt für "60Jahre soziale Marktwirtschaft" - sie entwickelte sich zu einer Mischung aus Wahlprogramm und Regierungserklärung. Freiheit, Wettbewerb, Aufstieg, so lauteten die zentralen Begriffe. Sie mündeten in dem Satz: "Wir müssen die Bildungsrepublik Deutschland werden."
Die neue BRD, die Kanzlerin rief sie mit Bedacht im Bundeswirtschaftsministerium aus. "Wohlstand für alle", das Motto von Wirtschaftswunder-Pionier Ludwig Erhard, müsse heute lauten: "Bildung für alle".
"Unsere Gesellschaft lebt von Durchlässigkeit", sagte Merkel. "Geht das verloren, wenden sich die Menschen von der sozialen Marktwirtschaft ab." Mehrmals erwähnte die Kanzlerin das Begriffspaar "Einstieg und Aufstieg", das auffällig an Gerhard Schröders Slogan "Fördern und Fordern" erinnerte.
"Wir müssen allen einen Einstieg ermöglichen und einen Aufstieg erleichtern", sagte Merkel.
Kurz darauf übersetzte sie das "Yes, we can" von US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama dezent ins Deutsche: "Wir können es also schaffen."
"Bildung für alle", das bedeute, "dass jeder seine Chancen nutzen kann, unabhängig von der sozialen Lebenssituation seiner Eltern", auch "dass Migranten in unsere Gesellschaft integriert werden, damit sie am Aufstieg teilhaben und der Gemeinschaft ihr Talent zur Verfügung stellen".
Mit anderen Worten: Die CDU-Vorsitzende Merkel besetzt abermals ein klassisches Thema ihres Koalitionspartners SPD. Auch bei den Ländern, die für Bildungspolitik zuständig sind, könnte der Vorstoß der Bundeskanzlerin als Provokation aufgefasst werden.
In der Föderalismus-Kommission hatte man sich schließlich auch darauf verständigt, den Ländern mehr Kompetenzen in Sachen Bildung zu verschaffen.
"Merkels schöne Worte entsprechen nicht ihren Taten", sagte deshalb der hochschulpolitische Sprecher der Grünen, Kai Gehring, unserer Zeitung.
Es sei bezeichnend, dass Merkel erst jetzt dieses Zukunftsthema entdecke. "Was will Merkel fast am Ende der Legislaturperiode noch auf den Weg bringen?"
Bund und Länder hatten zum zweiten Mal einen gemeinsamen Bildungsbericht vorgelegt. Ein Ergebnis: Der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist rückläufig.
Zwar haben Staat und Wirtschaft 2006 mit 142,9 Milliarden Euro fast 15 Milliarden Euro mehr für die Bildung ausgegeben als noch 1995.
Bezogen auf das BIP sank jedoch der Anteil im gleichen Zeitraum von 6,9Prozent (1995) auf 6,2Prozent (2006). Damit liegt Deutschland unter dem Schnitt der anderen Industriestaaten.
Merkel dokumentierte mit ihrer Rede zumindest ihr Problembewusstsein. Im Oktober soll es einen "nationalen Bildungsgipfel" von Bund und Ländern geben.
Außerdem will Merkel in den kommenden Monaten eine "Bildungsreise" quer durch die Republik unternehmen.