Politik NRW-SPD: Vorwärts nach Irgendwo

Mit 81 Prozent hat die SPD Sebastian Hartmann (40) aus Bornheim zum neuen Landesvorsitzenden in NRW gewählt. Sein Kurs: „Mal was Anderes.“

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Bochum. Am Ende ist das Ergebnis sogar knapp besser als verkündet: 367 Ja-Stimmen, 21 Enthaltungen, aber nur 69 statt der verkündeten 70 Nein-Stimmen macht 81 statt 80,31 Prozent Zustimmung der 460 Delegierten für den neuen Vorsitzenden der nordrhein-westfälischen SPD. Das ist besser als erwartet, aber der nahezu unbekannte Kandidat hat sich in seiner 38-minütigen Rede auch besser präsentiert als von vielen Delegierte erwartet. Dafür belohnen sie ihn mit diszipliniertem Abstimmungsverhalten statt einem „ehrlichen“ Ergebnis, das eher bei 60 + X Prozent gelegen hätte.

Dass der weithin unbekannte Bundestagsabgeordnete aus Bornheim bei Bonn überhaupt als einziger Bewerber um die Nachfolge Mike Groscheks ohne Gegenkandidat in der Bochumer Kongresshalle auf der Bühne steht, verdankt er einem Proporz-Frieden zwischen den Parteibezirken „Westliches Westfalen“ (191 Delegierte), „Mittelrein“ und „Niederrhein“ (zusammen 209) und „Ostwestfalen-Lippe“ (50), der jedoch mit der Wahl des früheren NRW-Justizministers Thomas Kutschaty (Bezirk Niederrhein) zum Fraktionsvorsitzenden und dem daraufhin polternden Rückzug seines mächtigen Vorgängers Norbert Römer (Westliches Westfalen) zerbrochen ist.

Das ficht Hartmann offenbar nicht an, der sich und seine Kandidatur entwaffnend offen beschreibt: „Mal was Anderes.“ Hartmanns Bewerbungsrede enthält viele Versatzstücke, die deutlich konkreter als seine Interviewäußerungen der vergangenen Wochen sind. Dass viele an der Basis es leid sind, dass die Parteispitze ständig von „Erneuerung“ redet, aber davon nichts zu sehen ist, greift er gleich in einem seiner ersten Sätze auf: „Lasst uns endlich anfangen.“ Wieder sozialdemokratische Politik zu machen, die gewählt wird, raus aus den Parteizirkeln in die Gesellschaft, mit einem „linken Realismus“. Und das sagt Hartmann den Zerknirschten auch: „Niemand wählt eine traurige Truppe, die selbst nicht an den Erfolg glaubt. Wir sind keine Selbsthilfegruppe.“

Die Rede enthält Wortzitate aus der „Internationale“ („. . . kein Kaiser noch Tribun“, „. . .müssen wir schon selber tun“) und zielt pointiert in Richtung einer linken Volkspartei: „Weniger Text und mehr Klarheit, rot pur“, will Hartmann, und: „Ich will es, weil ich weiß, es kann gelingen.“ Zu großen Teilen ist es Sprachpflege, der die neue Vorsitzende seiner Partei verordnet. Beispiel Schulpolitik: „G8-Flexi klingt nach Bausparvertrag, aber nicht nach einer politischen Idee für dieses Land.“ Gleichzeitig schwebt ihm ein „New Deal“ für Nordrhein-Westfalen vor — als ob er voraussetzen könnte, dass jeder im Saal die gleichnamigen Wirtschafts- und Sozialreformen der Jahre 1933 bis 1938 des damaligen US-Präsident Franklin D. Roosevelt (1892-1945) sofort auf dem Schirm habe.

Ob die Sprachbilder, die teils bei Brack Obama („Die besten Zeiten liegen erst vor uns“) und der britischen New Labor entliehen sind, tatsächlich ziehen und mit NRW-Inhalten aufzuladen sind — wer weiß das schon. Hartmann schimpft über „lahmes Laschet-Internet“ und möchte 2021 „nicht vor der nächsten Frage nach einer großen Koalition stehen.“ Die linke Volkspartei SPD soll sich in Sachen Ungleichheit zurückmelden und eingreifen, Hartmann fordert „mehr Wohnungen und weniger Gefängnisse, mehr Bildung und weniger Munition.“ Am besten kommt bei den Delegierten freilich die Abgrenzung nach rechts an. Für den Satz „Hass und Hetze baut keine Wohnungen, Spaltung sichert keine Arbeitsplätze“ gibt es mit den größten Beifall. Das alles zusammen sind viele einprägsame Bilder, die zusammen jedoch noch keinen Film ergeben. Es fehlt noch der rote Faden, der ja diesmal tatsächlich rot sein soll.

Zudem warten auf Hartmann viele ganz praktische Herausforderungen: Aus ihm und der neugewählten Generalsekretärin Nadja Lüders, die nach einer unglücklich vorgetragenen Rede bei nur 77,5 Prozent Zustimmung landete, muss erst noch ein Team werden. Wie das Zusammenspiel des in Berlin weilenden Vorsitzenden mit Fraktionschef Kutschaty in Düsseldorf funktionieren kann — ungewiss. Und was aus der klotzigen Parteizentrale an der Düsseldorfer Kavalleriestraße wird, in der es „mittlerweile mehr Räume als Mitarbeiter“ (Mike Groschek) gibt — man wird sehen. „Wir nehmen die Umstände an, aber wir nehmen sie nicht hin“, sagt Sebastian Hartmann. Das wäre in der NRW-SPD tatsächlich mal was Anderes.