Roland Kochs Rückzug erschüttert die Union

Hintergrund: Kanzlerin Merkel verliert einen Rivalen – und die CDU den wichtigsten Vertreter ihres konservativen Flügels.

Berlin/Dschidda. Der Paukenschlag von Wiesbaden erreichte die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin am Persischen Golf. Sie ließ sich zunächst nichts anmerken und absolvierte ihr Besuchsprogramm, als wäre nichts passiert. Dabei hat die Union gerade eines ihrer politischen Schwergewichte verloren. Die Auswirkungen auf die innere Machtbalance der Partei sind noch offen.

Die Nachricht vom Koch-Rückzug ist im Regierungsviertel in Berlin bereits in aller Munde, da weiht Merkel lächelnd eine Erdgas-Tankstelle in Abu Dhabi ein. Zum Abgang des CDU-Spitzenmannes äußert sich die Kanzlerin nur knapp. "Ich bedaure den Rückzug von Roland Koch aus der Politik", sagt sie nüchtern zu den Reportern. Sie werde ihn als Ratgeber vermissen.

Dass Koch als Zeitpunkt für die Ankündigung seines Rückzugs eine Auslandsreise der Kanzlerin wählte, wurde in Berlin indes als eine Botschaft gewertet: Er scheidet trotz aller Dementis im Groll auf seine Parteivorsitzende. Auch jüngst gab es wieder Hinweise auf einen handfesten Dissens zwischen Merkel und Koch.

Kurz vor der Wahl in NRW hatte Koch Merkel zu einer Absage an Steuersenkungen gedrängt. Die CDU-Chefin schwenkte erst nach dem Wahl-Desaster für ihre Partei auf diese Linie ein. Als Koch dann dafür plädierte, auch die Bildungspolitik auf die Streichliste staatlicher Leistungen zu setzen, provozierte er den Widerspruch Merkels. Auch da fragten sich viele in der Partei: Warum tut er das? Koch hatte aber das Image eines Merkel-Widersachers, der stets mit offenem Visier kämpfte. Merkel konnte sich im Positiven wie im Negativen auf ihren Partei-Vize verlassen.

Anders als andere Ministerpräsidenten der Union hat er sich immer wieder als bundespolitische Feuerwehr für Merkel einspannen lassen. So handelte er mit dem damaligen SPD-Finanzminister Peer Steinbrück die berühmte Subventions-Streichliste aus. Sie wurde allerdings nie umgesetzt. Auch das Steuerkonzept der schwarz-gelben Koalition hat Koch für die Union bei den Koalitionsverhandlungen vereinbart. Unter dem Druck der Euro-Krise werden die meisten Vorhaben derzeit wieder einkassiert.

Zuletzt kamen die Spekulationen über eine eventuelle Nachfolge für den gesundheitlich angeschlagenen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hinzu. Viele im Regierungslager waren sich zwar einig: Koch wäre mit Sachverstand und Durchsetzungskraft ein würdiger Nachfolger gewesen. Doch auch hier gab es für den Hessen keine Perspektive. Schäuble wird selbst entscheiden, ob und wann er geht. Das kann durchaus noch dauern.

Nach Friedrich Merz und Günther Oettinger verlässt damit ein dritter profilierter Vertreter des konservativen Wirtschaftsflügels die erste Reihe der Unionsparteien. Merkel geht mit einer unsortierten CDU-Führungsmannschaft und einer offenen Flanke beim konservativen Parteiflügel in die entscheidende Phase ihrer Kanzlerschaft: Die Lösung der Euro-Krise und gewaltige Sparzwänge stehen an.

Koch selbst ahnte wohl, dass vor allem sein Verhältnis zu Merkel Anlass für Spekulationen bieten würde. Merkel habe "seit mehr als einem Jahr" von seiner Rückzugsabsicht gewusst, sagte der Ministerpräsident.