Gastbeitrag Plädoyer gegen ein Twitter-Verbot für Behörden

Düsseldorf · Eine Gegenrede zu der Forderung der Datenschützer von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.

Symbolbild.

Foto: dpa-tmn/Robert Günther

Ein Sprecher der NRW-Datenschutzbeauftragten Helga Block hatte am 10. Januar in dieser Zeitung vor der behördlichen Nutzung sozialer Netzwerke gewarnt. Damit hatte sich die Datenschützerin den  Bedenken ihres baden-württembergischen Amtskollegen Stefan Brink angeschlossen. In einem Gastbeitrag lesen Sie die Gegenrede von Christiane Germann (s. Infokasten „Zur Person“):

In den meisten deutschen Behörden ist es zwischen Weihnachten und Neujahr recht ruhig. Dieses Jahr platzte in die beschauliche Urlaubszeit eine Verlautbarung des baden-württembergischen Datenschutzbeauftragten Stefan Brink: Er werde im Januar seinen erfolgreichen Twitter-Kanal schließen. Und andere Behörden im Ländle müssten ihm folgen, zur Not per Anordnung.

Die ersten Reaktionen auf diese Initiative reichten von belustigt (Digitalexpertinnen und -experten) bis verunsichert (Social-Media-Verantwortliche in Behörden). Warum? Weil Social-Media-Plattformen heutzutage zu den selbstverständlichen Kommunikationskanälen fast jeder deutschen Behörde gehören. Bereits vor zehn Jahren realisierten Ämter: Wir müssen dorthin, wo unsere Bürgerinnen und Bürger sind – zu Facebook, Twitter und Instagram.

Christiane Germann.  

Foto: GES/WZR

Seither ist viel passiert: Wenn die Bundespolizei im Jahr 2020 ein Bild bei Instagram postet, erhält sie dafür regelmäßig „Likes“ in fünfstelliger Höhe. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister halten „WhatsApp-Sprechstunden“ ab. Rund 90 000 Menschen haben die Stadt Dortmund bei Twitter abonniert  – und selbst dem eingangs genannten Datenschutzbeauftragten folgen dort über 5000 Menschen freiwillig. Die Polizei sucht über soziale Netzwerke Täter und Zeugen, die Bundeswehr rekrutiert dort ihr Personal, Kommunen informieren über städtische Veranstaltungen, neue Vorschriften und Angebote. Social Media ist hochoffizielle behördliche Aufgabe geworden: Der Begriff taucht längst in den Bezeichnungen für Referate und Abteilungen in den Organisationsplänen von Ministerien auf. Kurzum: Behördliche Arbeit – zumindest die, die Kommunikation mit der Öffentlichkeit voraussetzt – ist ohne soziale Netzwerke kaum noch denkbar.

Doch ist sie rechtswidrig? Das ist unklar – die Meinungen von Juristinnen und Juristen gehen hier auseinander. Behördliche Öffentlichkeitsarbeit – wie weit darf sie gehen, wo darf sie stattfinden? – hat in Deutschland keine spezielle und erst recht keine aktuelle Rechtsgrundlage. Social-Media-Kommunikation ist Ämtern daher weder ausdrücklich erlaubt, noch ausdrücklich verboten. Auch die 2018 in Kraft getretene Datenschutzgrundverordnung schafft keine Klarheit: Die großen Plattformbetreiber wie Facebook und Twitter sagen, dass sie die DSGVO selbstverständlich einhalten. Die deutschen Datenschutzbehörden trauen dieser Aussage nicht, können aber auch das Gegenteil nicht beweisen. Da sie jüngst Kompetenzen und Befugnisse hinzu gewonnen haben, möchten einzelne nun jedoch die Chance nutzen, den datensammelnden Konzernen das Leben schwerer zu machen. Notfalls über den „Umweg“, ihren Nutzern die Nutzung zu verbieten und dann mal zu schauen, was die Gerichte sagen.

Konstantin Kuhle, innenpolitischer Sprecher der FDP im Bundestag, hat da einen besseren Vorschlag: Das Thema soll auf EU-Ebene beraten werden, damit nicht am Ende beispielsweise österreichische und holländische Behörden twittern „dürfen“, deutsche aber nicht.

„Die Demokratie wird auch in sozialen Netzwerken verteidigt“

Ansagen wie die aus Baden-Württemberg sind wenig hilfreich, denn: Würde man Ämtern „ihre“ Social-Media-Kanäle wegnehmen – welcher Weg gerade zur jungen Generation bliebe ihnen dann? „Deutsche“ Kanäle mit solch hoher Reichweite gibt es nun mal nicht. Es stellt sich die Frage: Möchten Datenschützer/innen wirklich ausgerechnet die Polizei oder die Bundeszentrale für politische Bildung von den Plattformen vertreiben – und damit die Kanäle unseriösen und undemokratischen Kräften überlassen? Richtig ist: Die Demokratie wird heute auch in sozialen Netzwerken verteidigt – und zwar vom Staat selbst.

Was wir brauchen, ist das Gegenteil von einem „amtlichen“ Rückzug aus den sozialen Netzwerken: Behörden und andere offizielle Akteure müssen in Sachen Social-Media-Kommunikation noch besser und noch präsenter werden. Sie müssen beispielsweise mehr kompetentes Personal für das Thema einstellen oder ausbilden. Die Hochschule der Polizei hat hier vorgelegt und zum Jahresbeginn einen eigenen Zertifikatslehrgang „Social Media Manager/in Polizei“ gestartet.

Glücklicherweise haben direkt nach der Weihnachtspause die für den Datenschutz zuständigen Innenministerien – sowohl in Baden-Württemberg als auch im Bund – deutlich klargestellt, dass sie dem „Twexit“ von Stefan Brink nicht folgen werden. Man sehe derzeit keinen Handlungsbedarf und halte Social-Media-Kommunikation im übrigen für wichtig, um Bürgerinnen und Bürger mit behördlichen Informationen zu erreichen. Dass Behörden Bürgernähe und Service im Zweifel über kleinkarierte und praxisferne Vorschriften stellen, macht sie sympathisch und zeigt für mich, dass die Digitalkompetenz des Staates womöglich doch höher ist, als so oft behauptet wird. Und es zeigt auch: Die Zeit lässt sich nun mal nicht zurückdrehen – trotz DSGVO.