SPD-Parteitag: Und es herrsche Harmonie

In Hamburg ist von den Machtkämpfen nichts zu spüren. Altkanzler Schröder stellt sich demonstrativ hinter Parteichef Beck.

Hamburg. "Ihr seid das Original, die anderen sind das Plagiat" - die Worte von Altkanzler Gerhard Schröder sollten den ersten Tag des SPD-Bundesparteitages in Hamburg bestimmen. So oder in anderer Formulierung wurde es gestern immer und immer wieder betont: Die SPD sei die Partei der sozialen Gerechtigkeit, und eben nicht "die so genannte Linke oder vorübergehende Sozialdemokraten", wie es SPD-Chef Kurt Beck formulierte.

Es war, als ginge ein tiefes Aufatmen durch die Reihen der mehr als 500 Delegierten. Sie sind es leid, für die Agenda-Reformen verprügelt, von der Linkspartei und teilweise sogar von der Union links überholt zu werden und ihre Partei immer tiefer in den Umfragewerten absinken zu sehen. Neues Selbstbewusstsein und neue Angriffslust sollten als Signal von Hamburg ausgehen.

Und es sollte Harmonie herrschen nach dem wochenlangen, teils erbittert geführten innerparteilichen Machtkampf um das ArbeitslosengeldI. Da schien auch nicht mehr zu stören, dass der Konflikt zwischen Linken und Reformern in der Partei weiter schwelt. Und so erntete Michael Naumann, Hamburger Spitzenkandidat, Beifall und Gelächter von den Genossen, als er betonte, dass es die Partei Schröder nicht immer leicht gemacht habe. Kurz darauf legten die selben Genossen dann mit dem Beschluss zum Arbeitslosengeld I Axt an die Reformagenda an.

Den Altkanzler schien es nicht zu stören. Er stellte sich demonstrativ hinter Kurt Beck und forderte Unterstützung für ihn ein. Er räumte ihm auch erneut Spielraum für Änderungen an seiner Agenda ein. Und er rief seine Partei zur Geschlossenheit auf, forderte von ihr auch Unterstützung für die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder. Denn Werte würden Wirklichkeit erst durch Regierungshandeln.

Zur Zweideutigkeit des Parteitags gehörte auch, dass Schröder sein Lebenswerk verteidigte, Selbstbewusstsein der SPD für das Erreichte einforderte und mahnte, dass bei Änderungen der Agenda das Bessere der Feind des Guten sei und nicht "das Populärere". Der Parteitag feierte Schröder mit stehenden Ovationen, um dann Kurt Beck als unumstrittene Führungsfigur zu bestätigen. Er wurde mit 95,5Prozent der Stimmen wiedergewählt.

Beck hat mit seinem Vorstoß zum Arbeitslosengeld ins Schwarze getroffen. Mehr soziale Wärme, mehr Wohltaten statt kalter Reformen - das kam bei den Delegierten an. Die Grundsatzrede des Vorsitzenden quittierten sie mit lang anhaltendem stehendem Applaus, auch wenn sie zwar mit mehr als anderthalb Stunden lang, aber nicht groß und in weiten Teilen unstrukturiert war. Aber Beck streichelte auch hier die Seele der Partei: Sie müsse "nahe bei den Menschen sein", mit ihnen sprechen. Dies müsse wieder Stärke der SPD sein. Den meisten Applaus erntete er bei seinen Angriffen auf die Union, der er vorwarf, weiter "neoliberale und marktradikale" Politik betreiben zu wollen.

Kurt Beck hat sein Ziel erreicht. Der lange Zeit umstrittene Parteichef wurde vom Bundesparteitag in Hamburg mit großer Mehrheit im Amt bestätigt und ist unumstrittene Nummer eins der SPD. Wer will ihm derzeit die Kanzlerkandidatur streitig machen?

Beck geht es mit seinem Kurs aber nicht nur um seine eigene Profilierung. Er zielt darauf ab, die eigenen Reihen zusammenzuhalten und wieder näher an die Gewerkschaften zu rücken. Der Parteichef hat in den vergangenen Monaten intensiv in die Partei hineingehorcht und dabei offenbar viel Frust gespürt: Sinkende Umfragewerte, Mitgliederverlust, die Gründung der Linkspartei, die Union, die unverhohlen in sozialdemokratischen Gewässern fischte, und eine Kanzlerin, die die Lorbeeren der gemeinsamen Regierungsarbeit erntet. Dies alles führt nicht dazu, die Mitglieder an der Basis zu motivieren und zu mobilisieren. Genau daran muss es dem Parteichef aber gelegen sein, wenn er die SPD erfolgreich durch die anstehenden Wahlkämpfe in Hessen, Niedersachsen und Hamburg lotsen will.

Doch Beck erkauft die Gunst der Basis teuer. Allzu sehr wird offenbar, dass die Änderungen an der Agenda Symbolpolitik aus reiner Parteitaktik heraus sind. Auch wenn die Reformer in der Partei die Harmonie wahren und schweigen, der Konflikt mit den Linken ist allenfalls zugedeckt. Schon bauen Spitzenvertreter der Partei neuen Begehrlichkeiten vor, weitere Reformen zurückzunehmen. Die Frage, welchen Kurs die Partei in Zukunft steuern wird, bleibt offen.

Ungemach droht auch für die Große Koalition. Nicht nur, dass Vizekanzler Müntefering gegen seine eigene Überzeugung die Beschlüsse des Parteitages in Regierungshandeln umsetzen soll. Konnte die SPD sich nach der Wahl 2005 nicht in der Opposition programmatisch erneuern, so versucht sie nun, Opposition in der Regierung zu machen.

Schon wird der Ton zwischen den Partnern rüder. Trotz aller Beteuerungen nach der Kabinettsklausur im Sommer - notwendige weitere Reformen werden ausbleiben. SPD und Union werden sich gegenseitig belauern und auf die Wahltermine starren. Aber wann sollen Reformen umgesetzt werden, wenn nicht in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs?