Silvesternacht in Köln Thomas de Maizière: „Silvestergewalt war nicht vorhersehbar“
Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagt im Ausschuss des Landtags aus. Der CDU-Politiker sieht sich bei seiner Kritik an der Polizei missverstanden.
Düsseldorf. Wenn der Untersuchungsausschuss des Landtags zur Kölner Silvesternacht tagt, geht es meist um Versäumnisse der NRW-Polizei. Und die untersteht bekanntlich Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD). In der gestrigen 50. Sitzung dieses Gremiums ist es anders. Die Frage: Wie steht es um die im Kölner Hauptbahnhof zuständige Bundespolizei und deren möglichen Teil der Verantwortung dafür, dass es in der Silvesternacht zu den Gewaltexzessen und sexuellen Übergriffen kommen konnte? Dafür ist der für die Bundespolizei zuständige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) als Zeuge geladen. Ein Mann, der sich schon kurz nach den Vorfällen weit aus dem Fenster gelehnt hatte.
De Maizière hatte in einem Fernsehinterview am 5. Januar einen Satz gesagt, der als massive Kritik an der NRW-Polizei verstanden worden war: „So kann Polizei nicht arbeiten.“ Montag stellt der Bundesinnenminister klar, dass sich dies auf die Medienarbeit der Polizei bezogen habe, also auf den schlechten Informationsfluss nach den Silvestervorfällen. Die Kritik habe nicht die Landespolizei, sondern die Polizei insgesamt gemeint, also auch die Bundespolizei. NRW-Innenminister Jäger, so erzählt de Maizière im Ausschuss, habe ihn damals sofort angerufen und sich bei ihm beschwert. Auch er, de Maizière, wisse, dass man die Polizei nicht leichtfertig kritisieren solle, weil das ja auch diejenigen treffe, die in Einsätzen „unter größter körperlicher und psychischer Belastung gehandelt hätten“. Dann schiebt de Maizière aber noch nach: „Minister Jäger hat die Polizei später viel stärker kritisiert.“
Auch er, de Maizière, sei erst am 4. Januar über das ganze Ausmaß der Kölner Geschehnisse informiert worden. „Ich war mit dem Meldeverhalten der Bundespolizei nicht zufrieden“, sagt er. Allerdings sei den am 1. Januar auch dem Bundesinnenministerium vorliegenden Meldungen über sogenannte Wichtige Ereignisse „nicht die Dramatik zu entnehmen gewesen, wie sie sich später herausstellte.“ Eine Aussage, die für die Diskussion auf Landesebene interessant ist. Denn die Frage, wer wann was wusste oder wissen konnte, spielt auch immer wieder bei Vorwürfen an den NRW-Innenminister und die Landesregierung eine Rolle.
Zahlreiche Zeugenaussagen der vergangenen Monate hatten ein Zuständigkeitswirrwarr und Kommunikationspannen zwischen Landes- und Bundespolizei, städtischen Behörden und Bahn-Verantwortlichen offenbart. De Maizière sagt dazu: „Nach der im Nachgang vorgenommenen Bewertung der Bundespolizei war ihre Zusammenarbeit mit der Polizei des Landes NRW eng und kooperativ.“ Die Ereignisse der Silvesternacht, so betont er, insbesondere Umfang und Form der Tatbegehung, also die in Gruppen begangenen sexuellen Übergriffe, seien nicht vorhersehbar gewesen. Der Bund habe schnell reagiert, rechtliche Lücken bei der Verfolgung von Sexualstraftaten geschlossen und das Ausweisungsrecht verschärft.
An dieser Stelle wird der Innenminister dann doch noch politisch angriffslustig: „Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die mutmaßlichen Täter aus den Maghreb-Staaten in aller Regel nicht schutzbedürftig sind und die Asylverfahren nur zur Verlängerung ihres Aufenthalts in Deutschland betreiben, ist die Tatsache, dass der Bundesrat dem Gesetz, Algerien, Marokko und Tunesien als sicherer Herkunftsstaaten einzustufen, nicht zugestimmt hat, unverständlich und kritikwürdig“.
Als polizeiliche Maßnahmen schwebt de Maizière vor, dass mehr Videokameras und mehr Licht im öffentlichen Raum sowie Schulterkameras für Polizisten helfen könnten, die Beweislage zu verbessern.
Vor de Maizière hatte Dieter Roman, Präsident des dem Bundesinnenminister unterstehenden Bundespolizeipräsidiums (bundesweit 30 000 Polizeivollzugsbeamte) geschildert, unter welch großer Belastung die Bundespolizei vor Silvester wegen der Grenzsicherung gestanden hatte. Trotzdem seien in Köln die Einsatzkräfte der Bundespolizei im Vergleich zu den Vorjahren auf 67 Kräfte verdoppelt worden. Und zwar wegen der Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus, für den der Kölner Hauptbahnhof als „weiches Ziel“ in Frage komme. Ein Vorhersehen der tatsächlich später begangenen Taten sei für die Personalverstärkung nicht der Anlass gewesen. Dieses Phänomen sei in Deutschland bis dahin völlig unbekannt gewesen.
Roman schildert beklemmend die Vorgehensweise von Männern mit Migrationshintergrund, die im völlig überfüllten Bahnhof für Frauen Gassen gebildet hätten — zum Schein, um diese durchzulassen. Dann wurden die Frauen eingepfercht und Opfer von Übergriffen. Roman: „Das haben mir Einsatzkräfte mit Tränen in den Augen geschildert, weil sie nicht helfen konnten. Sie haben alles in ihren Kräften Stehende getan. Das nagt an den Beamten, es ist mit ihrem Berufsethos nicht zu vereinbaren, nicht helfen zu können.“
Roman erzählt auch von einem Vater, der im Gedränge der Hohenzollernbrücke einen Bundespolizisten angefleht habe, seinen fünfjährigen Sohn zu retten.