Touristen ohne Geld in Berlin

Tausende Polen strömen in die Stadt. Ausländerfeindlichkeit wächst.

Foto: Schoelzel

Berlin. Die DDR-Presse hat über das Gespräch Walter Mompers mit SED-Bezirkssekretär Günter Schabowski am Mittwoch nur sehr kryptisch berichtet. „Fragen der Beziehungen DDR-Berlin (West)“ seien erörtert worden, heißt es im SED-Deutsch. Mehr nicht. Wir wollen die neuen Machthaber in Ost-Berlin jedoch jetzt öffentlich festnageln. Wohl wissend, dass das alles drüben via Radio und Fernsehen wahrgenommen werden wird, informiere ich die Presse deshalb ausführlich über das Treffen. Vor allem darüber, dass Schabowski uns „echte Reisefreiheit“ für die DDR-Bürger bis Anfang Dezember zugesagt hat.

Ich rede auch davon, dass West-Berlin bald mit vielen „DDR-Touristen“ rechnen müsse. Das seltsame Wort hat einen Hintergrund. Schon seit über einem Jahr lässt Polen seine Bürger reisen. Seitdem sind Tausende aus dem Nachbarland in die Stadt gekommen. Am Potsdamer Platz, damals ein unbebautes Gelände, ist ein wilder Markt entstanden. Die Kritik daran ist immer lauter geworden, die Ausländerfeindlichkeit wächst. Viele Berliner, so sehr sie sich offene Grenzen wünschen, wollen ihre Folgen nicht wahrhaben.

Deshalb rede ich von „Touristen“. Wir wollen die Ängste eindämmen. Im Rathaus Schöneberg bereiten wir den ganzen Tag vor, was wir am nächsten Vormittag in der Senatssitzung beschließen werden: Die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, die das erwartete Chaos in geordnete Bahnen lenken soll. Wir nennen sie betont harmlos „Projektgruppe zur Vorbereitung auf einen verstärkten Besucher- und Reiseverkehr aus Ost-Berlin und der DDR“. Offiziell reden wir davon, dass wir nach der Maueröffnung 100 000 bis 300 000 Besucher pro Wochenende erwarten. Intern rechnen wir mit 500 000. Tatsächlich werden es nach dem 9. November zwei Millionen sein.

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