Damit Arbeit nicht krank macht - Chefs als Vorbilder
Gerlingen (dpa) - Ständig aufblinkende neu Mails, rund um die Uhr klingelnde Telefone, Arbeitsaufträge, die am besten schon erledigt sind, wenn sie eintreffen. Das hohe Tempo in der modernen Arbeitswelt bleibt nicht ohne Folgen für die Gesundheit der Belegschaft.
Nun sollen Führungskräfte als Vorbild dienen.
Immer häufiger sind psychische Belastungen der Grund, dass Menschen nicht mehr arbeiten können. Die psychischen Anforderungen im Job sind der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) zufolge seit Mitte der 90er Jahre deutlich gestiegen. Im Gesundheitsreport des BKK Dachverbands heißt es: Etwa 15 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage der etwa 4,3 Millionen BKK-Versicherten in Deutschland seien psychisch bedingt. Die mittlere Ausfalldauer bei psychischen Leiden sei mit gut 40 Tagen so hoch wie bei keiner anderen Erkrankung. In den vergangenen zehn Jahren hat die BKK eine deutliche Zunahme der Krankheitstage wegen psychischer Störungen registriert.
„Zugleich zeigt sich, dass die Dauer psychischer Erkrankungen stark vom Führungsverhalten eines Chefs abhängt“ sagt Boschs-Personalchef Christoph Kübel in einem Gespräch mit den „Stuttgarter Nachrichten“. Der Technik-Konzern hat nun nach hartnäckigem Drängen, so der Betriebsrat, eine Betriebsvereinbarung geschlossen: Sie sieht unter anderem vor, dass Führungskräfte und Mitarbeiter sensibilisiert und anonyme Hilfsangebote bereitgestellt werden.
„Vor psychischer Überlastung ist niemand gefeit, sei der Auslöser auferlegter Druck oder Selbstüberforderung“, sagt Betriebsratschef Alfred Löckle, der die Betriebsvereinbarung ausgehandelt hat. „Deshalb wollen wir mit dieser Vereinbarung das Stigma des Makels durchbrechen und den offeneren Umgang mit seelischen Belastungen erleichtern.“
Bosch ist nicht der einzige Konzern, der sich des Themas annimmt. Auch beim Stuttgarter Autokonzern Daimler werden Führungskräfte in Schulungen sensibilisiert, damit sie Anzeichen für persönliche Krisen bei Mitarbeitern wahrnehmen und gegebenenfalls den Werksarzt einschalten können.
Bei der Deutschen Bahn wurde das Betreuungskonzept, dass ursprünglich für Lokführer vorgesehen war, die Unfälle mit Menschen verarbeiten mussten, schon 2012 auf alle Mitarbeiter ausgeweitet. „Seit gut vier Jahren arbeiten wir daran, dass wir ein besseres Führungsverständnis bekommen“, sagt eine Bahn-Sprecherin. So gebe es Gesundheitscoachings, in denen Führungskräfte lernen, Anzeichen psychischer Probleme zu erkennen.
Bei der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin und Arbeitsschutz (BAUA) macht man den Wandel der Arbeitswelt für die Zunahme psychischer Belastungen verantwortlich. In einem Forschungsprojekt soll die Wirkung von Belastungen erkundet werden, um dann Messstandards und Grenzwertempfehlungen zu erarbeiten. Starker Termin- und Leistungsdruck werden dabei als Belastungen angesehen wie häufige Störungen und Unterbrechungen und sehr schnelles Arbeiten.
Beim Softwarekonzern SAP verhandelten Betriebsräte mit dem Arbeitgeber fast zwei Jahre über eine Betriebsvereinbarung, mit deren Hilfe psychischen Erkrankungen entgegen gewirkt werden kann. Das hohe Tempo, das SAP-Chef Bill McDermott bei dem Softwarekonzern vorgibt, macht etlichen Mitarbeitern zu schaffen.
An dem höheren Tempo in der IT-Industrie könne man wenig ändern, entgegnet SAPs Gesundheitsmanagerin Natalie Lotzmann. SAP versucht in einem Index die Gesundheit in der Organisation abzubilden. Ein Prozentpunkt Verbesserung in dem Index, so rechnet man bei SAP vor, bringt dem Softwarekonzern bis zu 70 Millionen Euro mehr Gewinn.
Nur mit einem Beschluss oder einer Vereinbarung werde keine Bewusstseinsänderung erreicht. Deshalb setzt man wie bei Bosch auf Vorbilder: 600 Führungskräfte bei SAP werden aktuell geschult, damit sie ihren Mitarbeitern eine andere Kultur vorleben. „Ein Manager muss sich bewusst sein, dass er wichtiger für die Gesundheit ist als ein Hausarzt“, so Lotzmann. Betriebsrat Ralf Kronig sieht das allerdings eher kritisch: Die Verantwortung für gesundheitsverträgliche Arbeitsbedingungen liege am Ende doch beim Betriebsarzt.