Interaktive Vorlesungen im Netz zwischen Hype und Alltag
Berlin (dpa) - In der Diskussion um die Hochschule der Zukunft werden immer wieder Online-Kurse ins Spiel gebracht. Während Anbieter aus den USA das Geschäftsmodell Bildung neu erfinden wollen, treiben Anbieter aus Deutschland andere Motive an.
Die Uni-Vorlesungen von Hasso Plattner sind äußerst beliebt. Wenn der Gründer von Softwarekonzerns SAP in Potsdam im launigen Ton die neusten Entwicklungen bei Datenbank-Technologien vorstellt, ist der Vorlesungssaal meistens bis auf den letzten Platz besetzt. Aber selbst im Audimax des nach ihm benannten Instituts können dem 69-Jährige gerade mal 250 Studenten zuhören. Doch im Internet-Zeitalter gilt diese Grenze nicht mehr. Mit einem sechswöchigen Kurs erreichte Plattner im vergangenen Sommer mehr als 10 000 Studenten und andere Interessierte über das Netz.
Der interaktive Kurs von Plattner am „openHPI“ wurde als Massive Open Online Course (MOOC) konzipiert. „Massive“ steht für eine große Teilnehmerzahl und „Open“ für die Tatsache, dass der Online-Kurs offen, also ohne Zugangsbeschränkungen und kostenlos angeboten wird.
Insbesondere in des USA werden mit den MOOCs große Erwartungen verbunden. Eltern müssen dort oft ein Vermögen für die Ausbildung ihrer Kinder an privaten Hochschulen aufbringen. Sie hoffen darauf, dass der Nachwuchs virtuell Vorlesungen von Elite-Universitäten wie Stanford besuchen kann, ohne dass Summen wie 52 000 Dollar pro Jahr fällig werden. Allerdings wird der Hype um die MOOCs durch Berichte über äußerst niedrige Absolventen-Quoten in Frage gestellt.
Zu den MOOC-Pionieren in den USA gehört der deutsche Informatiker Sebastian Thrun: Zu seinem Einführungskurs an der Uni Stanford über Künstliche Intelligenz meldeten sich 2011 rund 160 000 Studenten aus 190 Ländern an. Überwältigt von dem Erfolg gründete Thrun die Firma Udacity, die nun in Kooperationen mit verschiedenen Hochschulen MOOCs veranstaltet. Bestimmte Kurse sind aber nicht „open“. So verlangen Udacity und das renommierte Georgia Institute of Technology in Atlanta für einen Drei-Semester-Kurs 6600 Dollar. Das ist immerhin deutlich weniger als die 44 000 Dollar, die sonst Studenten bezahlen müssten. Andere Udacity-Kurse werden inzwischen von High-Tech-Firmen wie Nvidia, Autodesk und Salesforce.com finanziert, die damit auch Personal rekrutieren wollen.
In Deutschland wird das Thema Online-Uni unter anderem von der Leuphana Universität Lüneburg vorangetrieben. Dort nahmen 2800 Studierende aus 107 Ländern an dem Pilotprojekt „ThinkTank Ideal City of the 21st Century“ zur Stadt der Zukunft teil. Die Leuphana spricht allerdings nicht von MOOCs, sondern nur noch Open Online Courses und streicht das Wort „Massive“ aus dem Titel. „Klasse kommt vor Masse“, begründet dies der zuständige Leuphana-Vizepräsident Holm Keller.
Beim Hasso-Plattner-Institut (HPI) spielt die große Reichweite der MOOC dagegen schon eine Rolle. Das Institut kann auf dem Campus in Potsdam insgesamt nur 450 Studierende aufnehmen, so dass viele Bewerbungen abgelehnt werden müssen. Über „openHPI“ werden diese Begrenzungen zumindest in Teilen aufgehoben. Das Gros der MOOC-Teilnehmer sind allerdings nicht junge Leute, die nach dem Abitur studieren wollen. „Die 30- bis 40-Jährigen stellen in unseren Kursen die stärkste Gruppe“, sagt HPI-Chef Meinel. Sie wollten die Kenntnisse, die sie vor Jahren an der Universität erworben haben, auffrischen und sich bei den ganz neuen Technologien auf dem Laufenden halten. „MOOCs eignen sich vor allem dafür, das Modell für das lebenslange Lernen in die Praxis umzusetzen.“
Die Kurse aus Potsdam folgen einem festen sechswöchigen Zeitplan: Zum einen stellt das HPI Lehr-Videos und Texte zur Verfügung. Die Teilnehmer beteiligen sich mit Selbsttests, regelmäßigen Hausaufgaben und Prüfungsaufgaben. Kombiniert werden die Angebote mit einer sozialen Plattform, auf der sich die Teilnehmer untereinander und mit den Kursbetreuern austauschen.
Gerade diese soziale Komponente mache die MOOCs erfolgreich, betont Meinel. „Traditionelles E-Learning ist eine einsame Angelegenheit. Da halten oft nur diejenigen durch, die stark autodidaktisch veranlagt sind, sich also selbst gerne etwas beibringen. MOOCs überwinden die Einsamkeit beim E-Learning.“
Kritisch sieht Meinel den Trend an den Universitäten, sich mit kommerziellen Anbietern zusammenzutun. So kooperiert die Technische Universität München mit dem weltweit führenden MOOC-Anbieter Coursera. „Ich empfehle Universitäten in Deutschland, ihre E-Learning-Projekte in eigener Verantwortung und unter eigenem Namen aufzuziehen.“ Dazu müssten die Hochschulen nicht einmal groß in Technik investieren: „Das Hasso-Plattner-Institut würde seine technische Plattform OpenHPI auch anderen Hochschulen und Weiterbildungsprojekten zur Verfügung stellen, wenn diese sich an den laufenden Aufwendungen für den Betrieb der Plattform beteiligen“, stellt Meinel in Aussicht. So könnten die Hochschulen unter der eigenen Marke beim E-Learning auftreten, ohne selbst die dafür notwendige Software entwickeln zu müssen.