Seit 9/11 begehrt: Das Studium der Islamwissenschaft
Berlin (dpa/tmn) - Beim Gedanken an den Islam denken viele seit dem 11. September gleich an Al Kaida und Terrorismus. Das macht es nicht einfacher, sich mit der Religion zu befassen. Das frühere Orchideenfach Islamwissenschaft ist heute dafür gefragter denn je.
Früher war Islamwissenschaft ein Nischenfach. Dann kam der 11. September 2001. „Danach wurden die Institute überrannt“, erzählt die Islamwissenschaftlerin Johanna Pink, die an der Freien Universität Berlin lehrt. Denn nach den Anschlägen der Terrororganisation Al Kaida in New York wurde plötzlich viel über den Islam debattiert. Dem Ansehen der Religion und seiner Anhänger hat das nicht gerade gut getan. Das Interesse an der Islamwissenschaft sei aber größer geworden, erklärt Pink.
Ein theologischer Studiengang ist das nicht. Hinter dem Begriff versteckt sich das Studium der Sprache, Gesellschaft, Kultur, Politik und Religion der islamischen und arabischen Welt. Dazu gehören neben der Türkei und dem Iran der ganze Nahe und Mittlere Osten. Das Fach kann im gesamten Bundesgebiet studiert werden.
„Voraussetzung ist eine Sprachbegabung“, sagt Pink. Neben Arabisch müssen Studenten noch Persisch oder Türkisch als zweite Sprache lernen. Auch Englisch und Französisch werden gefordert. „Die meisten studienrelevanten Bücher sind nicht in Deutsch geschrieben.“ Gerade Arabisch wird für viele zum Verhängnis. „Die Abbruchquote unter den Erstsemestern ist sehr hoch“, erzählt Pink. Nach ihrer Beobachtung bricht fast die Hälfte der Studienanfänger das Studium ab.
Nicht so Josephine Gehlhar. Für sie ist Arabisch eine logische Sprache. „Ich wollte ursprünglich Mathematik und Physik studieren“, erzählt die Islamwissenschaftsstudentin. Sie macht gerade an der FU Berlin ihren Master. In einem Studienführer entdeckte sie das Fach. „Das hat mich direkt gepackt“, erzählt die 26-Jährige.
Doch nicht nur die Sprache hat es Gehlhar angetan. „Islamwissenschaft bietet eine große Bandbreite. Von verschiedenen Perspektiven kann man sich der Materie nähern: sprachlich, philosophisch, kulturell, politisch“, erzählt sie. Im Gegensatz zu ihren Kommilitonen will Gehlhar später in die Forschung. Mitstudenten hätten Politik und Wirtschaft als Zusatzfach gewählt. Nach einem Praktikum bei der deutschen Außenhandelskammer etwa in Dubai, wollen sie später in die Wirtschaft.
Enttäuscht werden jene von Islamwissenschaft sein, die aus religiösen Motiven das Fach studieren. Denn Islamwissenschaft setzt sich mit dem Islam und dem Koran kritisch und wissenschaftlich auseinander. Ein Konflikt für jene, für die die Aussagen des Korans unantastbar sind. Wer glaubt, Islamwissenschaft studierten hauptsächlich Menschen mit Migrationsgrund oder Muslime, der irrt.
Die Debatte um den Islam habe vielen Studenten neue berufliche Perspektiven eröffnet, sagt Pink. Die Nachfrage nach Islamwissenschaftlern steige. Von Medien über Sicherheitsbehörden, das Auswärtige Amt bis hin zu Nichtregierungsorganisationen: „Die Absolventen kommen in verschiedenen Bereichen unter“, erzählt Pink. Allerdings gibt es kein klares Berufsbild wie in Medizin oder Jura. Deshalb ist im Studium viel Eigeninitiative gefragt.
Florian Peil hat während seines Studiums in Göttingen, Kairo und Berlin viele Redaktionspraktika gemacht. Der 37-Jährige wollte Journalist werden. Am Ende hat sich der Islamwissenschaftler anders entschieden. Er arbeitet jetzt als Sicherheitsberater für deutsche Firmen, die in den arabischen Raum expandieren wollen. Für sie macht er Risikoeinschätzungen und Sicherheitsanalysen. Er rät, Praktika in verschiedenen Bereichen zu machen, um sich viele Wege offenzuhalten.
Das neue Interesse an Islamwissenschaftlern, wie Pink es beschreibt, hat er so nicht erlebt. Islamwissenschaft sei für viele außerhalb des Fachs kein Begriff. Entsprechend verwundert reagierten einige auf sein Studium und fragten, ob er jetzt Moslem sei. Dennoch ist Peil mit seiner Studienwahl zufrieden. „Ich habe viel Interessantes erlebt“, erzählt er. Außergewöhnliche Sprachen wie Arabisch oder Türkisch zu können, sei immer ein Pluspunkt.
Dem stimmt Lisa Akbary zu. Die 32-Jährige hat in Hamburg und an der Sorbonne Islamwissenschaft studiert. Seit zwei Jahren arbeitet sie für die Deutsche Welthungerhilfe in Kabul. Der Jobeinstieg war schwer. „Das ist aber kein reines Islamwissenschaftler-Problem. Als Geisteswissenschaftler ist man Generalist und hat es schwerer“, sagt sie. Das Studium aber habe sie nie bereut.