Wenn das Web Wissen schafft: Netzwerke für Forscher
Berlin (dpa) - Soziale Netzwerke erobern die Welt. Aber auch die Wissenschaft? Im Netz arbeiten junge Forscher schon heute digital zusammen. „Science 2.0“ könnte eine Revolution bedeuten. Gewichtige Gründe sprechen aber derzeit noch dagegen.
Ijad Madisch ist unzufrieden gewesen. Als promovierter Forscher am Krankenhaus in Massachusetts lieferten 80 bis 90 Prozent seiner Versuche negative Ergebnisse, erzählt der Deutsche mit syrischen Wurzeln. Das hat ihn aber gar nicht gestört. Eher, dass sein nützliches Wissen über das, was nicht funktioniert, wieder verloren ging. Niemand erfuhr davon und konnte Schlüsse daraus ziehen. Das geht den meisten seiner Kollegen genau so. Um das zu ändern, gründete Madisch 2008 kurzerhand die Online-Plattform ResearchGate, ein soziales Netzwerk für Wissenschaftler.
„Wir haben seit etwa vier Wochen mehr als eine Million Mitglieder“, sagt der junge Virologe, der in Hannover Medizin und Informatik studiert hat. Am Montag (21.6.) traf er sich mit Forscherkollegen in Berlin, um über Wissenschaft in Zeiten des Internets zu reden. Denn wenn alles und jeder sich digital vernetzt - warum nicht auch die Forscher? „Science 2.0“ lautet das Schlagwort.
Auf ResearchGate.net oder Biomedexperts.com laden Wissenschaftler schon jetzt Texte hoch, suchen Artikel in Fachzeitschriften, diskutieren in Gruppen und besprechen ihre Fachprobleme. Es sind die klassischen Web-2.0-Elemente von Austausch und Vernetzung, die sich Forscher-Communities weltweit zunutze machen. Tatsächlich geht es jedoch um mehr.
Die große Idee ist vielmehr, jeden einzelnen Forschungsschritt und nicht erst die fertige Publikation zu veröffentlichen, erklärt Soenke Bartling, Radiologe am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. „Denn wenn etwas schief geht, sind alle Daten verloren. Andere Forscher können nicht darauf aufbauen. Dabei sind Experimente, die scheitern, genauso wichtig wie Experimente, die gelingen“, erläutert der Radiologe.
In Zukunft könnte ein Wissenschaftler seine ersten Ergebnisse einfach im Netzwerk veröffentlichen und für jeden zugänglich machen. Vernetzte und transparente Forschung spart Zeit, weil nicht mehrere Forscher die gleichen Fehler machen müssen. Das schafft, so die Idee, eine bessere, weil effizientere Wissenschaft.
Das Problem dieser Vision ist, dass es in der Forschung vor allem um Reputation und Fördermittel geht. „Viele Wissenschaftler haben Angst, dass ihnen ihre Ideen geklaut werden“, sagt Bartling. Sie warten so lange, bis ihre Experimente Erfolg haben und sie alles in einer Fachzeitschrift mit einem hohen „Impact Factor“ veröffentlichen können. Der gibt an, wie oft andere Zeitschriften aus dem Journal zitieren. Je höher dieser Wert ist, umso angesehener die Publikation. Die Datenbasis liefert das Unternehmen Thomson Scientific.
Dass die Bewertung wissenschaftlicher Leistungen sich einzig und allein an den Auswertungen einer Firma orientiert, verträgt sich so gar nicht mit dem „Open Science“-Gedanken der Web-Forscher. Es müsse ein übergreifendes System von „Impact Points“, von neuen und aussagekräftigeren Bewertungskriterien geben, sagt Madisch.
In Zukunft könnte sich der Wert eines Blog-Beitrags daran bemessen, wie oft die Forscher-Community daraus zitiert, aber auch wie viele den Artikel gelesen und für interessant befunden haben. Der „Gefällt mir“-Button von Facebook als Vorbild? Ijad Madisch muss lachen. „In gewisser Weise schon.“ Die Bewertung wissenschaftlicher Arbeit in die Hände vieler zu geben - das ist ein Plan, den soziale Netzwerke im Internet erst möglich gemacht haben.
Klassische Gatekeeper, die entscheiden, welche Veröffentlichung besonders relevant ist, würden aber weiterhin gebraucht, gibt Lou Woodley von Nature Publishing zu bedenken. „Aber die Entwicklung wird nicht stehen bleiben, wo sie gerade ist“, sagt die Community-Expertin etwas unscharf. „Nature“ ist ein Schwergewicht unter den wissenschaftlichen Fachzeitschriften.
Am Ende der Diskussion ist allen Teilnehmern klar, dass der Weg hin zur „Science 2.0“, zu einer offenen und transparenten Wissenschaft noch lang ist. Das Ganze sei sicherlich „noch eine Utopie“, gibt Krebsforscher Bartling zu. Plattformen wie ResearchGate mit mehr als 100 000 Volltext-Publikationen zeigen aber, wohin die Entwicklung geht. Auch Nicht-Wissenschaftler können sich dort anmelden. Die Probleme der Biologie, Medizin oder Computertechnik dürften sich aber nur den wenigsten Laien erschließen.