Einsamkeit – ansteckend wie Grippe

Menschen, die alleine sind, können dieses Gefühl auf andere übertragen.

Chicago. Alleine zu sein, ist immer dann schön, wenn man allein sein möchte. Denn in solchen Fällen fühlt man sich auch nie einsam. Anders ist es, wenn man ungewollt einsam ist. Eine Situation, die wohl jeder schon einmal erlebt hat: Beim ersten Tag in einer neuen Stadt, wenn einen der Partner verlassen hat oder ein naher Angehöriger oder Freund gestorben ist.

Aber kann sich Einsamkeit auch im Freundes- und Bekanntenkreis ausbreiten? Kann man sich mit Einsamkeit anstecken wie mit einer Erkältung? Ja, sagen jetzt US-amerikanische Forscher. Menschen, die sich einsam fühlen, können dieses Gefühl auf andere übertragen. So verlieren sie auch die letzten Sozialkontakte, die sie haben.

Um sich einsam zu fühlen, muss man jedoch gar nicht wirklich allein sein: Auch mitten im Einkaufsrummel, unter tausenden Menschen, die durch die Stadt drängen, kann man sich sehr einsam fühlen. "Man hat Einsamkeit immer begriffen als eine Form von Depression, Introvertiertheit, Schüchternheit oder Folge von gering ausgeprägten sozialen Fähigkeiten", sagt John Cacioppo.

Der Psychologe der Universität von Chicago hat sich für das Forschungsprojekt mit Kollegen der Harvard-Uni und der Hochschule in San Diego zusammengetan. "Unsere Untersuchung zeigt, dass es sich bei der Einsamkeit um einen menschlichen Gemütszustand handelt - ähnlich wie Hunger, Durst oder Schmerz." Die Einsamkeit sei daher ein bedeutender Indikator dafür, ob eine Gesellschaft sozial sei und wie erfolgreich sie neu Hinzukommende integriere.

Die Untersuchung wurde im "Journal of Personality and Social Psychology" veröffentlicht. Sie basiert auf Daten von 5.000 Personen, die seit 60 Jahren in einer Kleinstadt im Bundesstaat Massachusetts erhoben wurden.

Die Teilnehmer wurden regelmäßig gefragt, an wie vielen Tagen der Woche sie sich einsam fühlten und mit wem sie Kontakt hatten. So entstand ein Bild sozialer Netze und Verbindungen, aber auch der Isolation und der Ausgrenzung.

Dabei stellte sich heraus: Wenn sich eine Person einsam fühlte, dann passiert es in 52 Prozent der Fälle, dass ein Familienmitglied oder ein enger Freund zwei Jahre später ebenfalls Gefühle der Einsamkeit verspürt.

Die "Ansteckungsgefahr" war zwar in engen Beziehungen am größten, hatte aber noch Auswirkungen auf die Freunde des besten Freundes. Erst danach, also bei den so genannten Freunden dritten Grades, verliert sich die Wirksamkeit.

Zudem sehen Menschen, die sich über lange Zeit einsam fühlten, irgendwann sogar jede Gesellschaft als Bedrohung. "Sie sind sich dessen vielleicht nicht bewusst, aber einsame Menschen denken negativ über andere", sagt Cacioppo. Das führe dazu, dass sich diese Menschen dann auch anderen gegenüber negativ verhalten.

Am Anfang vielleicht nur mit missmutigen Gesichtsausdrücken oder einer ablehnenden Körpersprache. "Irgendwann können dann aber auch böse Kommentare hinzukommen", sagt John Cacioppo. Das führe dazu, dass sich andere Menschen von dem einsamen Menschen abwenden.

Natürlich sei es völlig normal, sich hin und wieder einsam zu fühlen. Cacioppo und seine Kollegen konnten in ihrer Studie jedoch nachweisen, dass sich anhaltende Einsamkeit wie eine Infektion innerhalb einer miteinander in Verbindung stehenden Gruppe ausbreiten kann.