90 Jahre Muttertag: Überholter Brauch oder wichtig?
Köln (dpa) - Muttertag 2013: Viele schätzen ihn, manche finden ihn altmodisch, andere wollen ihn nach 90 Jahren abschaffen. Fakt ist: Der Mutterjob ist kein Spaziergang, er kann stressen und krank machen.
Der Muttertag kommt in die Jahre. Zum 90. Mal werden Mütter am Sonntag (12. Mai) überall in Deutschland von kleinen, großen und erwachsenen Kindern wieder mit Blumen oder Bastelarbeiten beschenkt - diesmal am 12. Mai. Allerdings zweifeln nicht wenige, ob der Brauch noch zeitgemäß ist. Verstaubt und altmodisch, sagen manche. Einige wollen ihn abschaffen. Fest steht: Der Gedenktag lenkt einen Blick auf den Mutterjob. Und der ist kein Zuckerschlecken, kann - bei aller Freude und Bereicherung - auch stressen und krank machen. Die Anforderungen wachsen. „Die Belastungen nehmen zu. Es gibt einen Wahnsinnsdruck“, sagt Anne Schilling, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks.
„Mütter müssen gut aussehen, für den Partner attraktiv bleiben, interessiert sein und möglichst erfolgreich im Job. Und sie sollen die Kinder breit fördern - schulisch, musisch und sportlich. Das alles unter Zeitdruck.“ Schilling weiß: „Viele Mütter haben in einem hohen Maße einen Perfektionsanspruch an sich selbst.“ Ergebnis bei Zehntausenden: Schwere Erschöpfung, Burn Out, Schlafstörungen, Rückenschmerzen, Muskel-Skelett-Erkrankungen, Allergien. „2012 sind 135 000 Mütter in unsere Beratungen gekommen, 44 000 von ihnen sind mit 64 000 Kindern zur Kur in eine unserer Kliniken gekommen.“
Was belastet? Mütter geben an: Mangelnde Anerkennung, ständige Zeitnot, Hauptverantwortung für die Familie, Partnerschaftsprobleme, finanzielle Sorgen, Pflege eines Angehörigen, soziale Isolation. Mütter aller Schichten sind betroffen, betont Schilling. Jede fünfte Mutter bundesweit ist alleinerziehend. Etwa 60 Prozent arbeiten, eine wachsende Zahl pflegt einen Angehörigen. Mütter brauchen mehr Unterstützung, fordert das Genesungswerk. Der Muttertag habe zwar ein altmodisches Image, bleibe aber sinnvoll. Sie empfiehlt als Präsent: „Einen Gutschein für regelmäßiges Spülmaschine-Ausräumen, eine Konzertkarte - oder mal Sportkurs-Angebote raussuchen.“
Nach 90 Jahren spielt der Muttertag noch bei vielen eine Rolle. Von 1001 Müttern, die Forsa aktuell im Auftrag der Zeitschrift „Eltern“ befragt hatte, gaben 57 Prozent an, ihn in irgendeiner Form zu feiern. 48 Prozent finden ihn schön, „weil er meine Leistung anerkennt“. Auch Dreifachmutter Barbara Hillebrand aus Köln sagt: „Ich wäre doch sehr enttäuscht, wenn es diesmal nichts gäbe. Zum Muttertag darf es ruhig etwas kitschig-rührselig sein. Einmal im Jahr haben wir Mütter das verdient.“ Bisher habe sie bestickte Stoff-Anhänger, bemalte Lesezeichen oder Bilderrahmen bekommen.
Soziologin Sabina Schutter sagt, gerade angesichts der wachsenden Ansprüche an die Frauen sei der Muttertag ein „schönes Ritual“, das Dankbarkeit ausdrückt und Beziehungen festigt. Mütter freuen sich mehr über traditionelle Geschenke als etwa über einen „modernen“ Facebook-Gruß, glaubt die Wissenschaftlerin vom Deutschen Jugendinstitut in München. „Ein Muttertag entbindet allerdings Gesellschaft und Politik selbstverständlich nicht davon, gleichstellungspolitisch, familienpolitisch und sozialpolitisch aktiv für die Verbesserung der Situation von Familien einzutreten.“
„Der Muttertag hat eine komplizierte Geschichte“, erklärt Professor Annette Henninger von der Uni Marburg. Die Idee kommt aus der englischen und amerikanischen Frauenbewegung Ende des 19. Jahrhunderts. Der Blumenhandel witterte ein Geschäft, etablierte den Muttertag hierzulande 1923. Im Nationalsozialismus wurde er missbraucht, als „Ehrentag“ der kinderreichen „arischen“ Mutter propagiert. Dieses dunkle Kapitel sei nicht umfassend aufgearbeitet. „Angesichts dieser komplizierten Geschichte des Muttertags plädiere ich für die Abschaffung“, sagt die Gender-Forscherin.
Das würde Lehrerin Helga Nebot bedauern: „Es ist ein Tag, an dem die Frau mal im Vordergrund steht - eine Anerkennung für ihre Tätigkeit als Hausfrau und Mutter und gegebenenfalls auch noch ihre Doppelbelastung durch einen Beruf.“ Die 44-Jährige aus dem Ruhrgebiet will den Tag jedenfalls genießen - und erwartet von ihren drei Kindern „den Klassiker“: „Dass die Kinder ein Bild gemalt oder etwas gebastelt haben. Und das ich länger schlafen darf und das Frühstück gemacht wird.“