Bengel statt Engel: Kriminelle Kinder brauchen Rückhalt der Eltern
Berlin (dpa/tmn) — Wird das eigene Kind beim Klauen oder Randalieren erwischt, sind Eltern schockiert und voller Sorge. Panik und Vorwürfe helfen jedoch nicht weiter. Gefragt sind Gelassenheit, ein ruhiges Gespräch — und die Erinnerung an die eigene Jugend.
Das Telefon klingelt, es meldet sich ein freundlicher Polizeibeamter und bittet darum, das Kind von der Dienststelle abzuholen. Es sei beim Klauen erwischt worden, beim Beschmieren von Hauswänden oder beim Schwarzfahren. Egal, wobei — die Eltern sind fassungslos, die Gedanken rasen: Mein Kind ist kriminell! Oft ist das Ganze aber weniger dramatisch, als anfangs gedacht.
Wie die jährliche Polizeiliche Kriminalstatistik belegt, geht die Zahl tatverdächtiger Kinder (bis 14 Jahre) und Jugendlicher (14-18 Jahre) seit Jahren deutlich zurück. Waren im Jahr 2009 noch rund 97 000 Kinder unter 14 Jahren tatverdächtig, sowie rund 248 000 unter den 14 bis 18-Jährigen, wurden im Jahr 2011 unter den Kindern 85 600 auffällig, bei den Jugendlichen waren es rund 215 000. Bei der Polizei fallen Kinder und Jugendliche am häufigsten wegen Diebstahls auf.
Mit falscher Erziehung oder Versagen der Eltern habe dies nichts zu tun, meint Rainer Schütz, Geschäftsführer von Nummer gegen Kummer und Leiter des bundesweiten Elterntelefons: „Oft ist der Grund für eine Straftat eine Mutprobe oder Gruppendruck in einem Alter, in dem man dazugehören möchte.“
Bewegten sich die Vergehen im Bagatellbereich und bleibe es bei mittelschweren Verstößen, raten Experten von Polizei ebenso wie Psychologen oder Erziehungsberater zu Gelassenheit. „Es gehört zu der Entwicklung eines Kindes und Jugendlichen, über Grenzen zu gehen und sie auszutesten, sich auszuprobieren“, sagt Schütz. Eltern kann es in solch einem Moment helfen, sich an die eigene Jugend zu erinnern. Kaum einer dürfte während dieser Zeit immer ein Engel gewesen sein.
Bis zum Alter von 14 Jahren sind Kinder strafunmündig. „Werden sie bei einem Vergehen erwischt und kommt es zur Anzeige, schickt die Polizei eine Ereignismeldung an das Jugendamt. Dort wird entschieden, ob zu der Familie Kontakt aufgenommen wird“, erklärt Sabrina Hoops, Wissenschaftlerin in der Abteilung Jugend und Jugendhilfe am Deutschen Jugendinstitut in München. Bei einem einmaligen Bagatelldelikt wird darauf meist verzichtet.
Die Eltern sind bei einem solchen Vorfall dennoch schockiert. „Sie sollten sich beruhigen, statt im Affekt zu reagieren, das Kind aufgebracht zur Rede zu stellen“, sagt Andreas Engel von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) in Fürth.
Sinnvoll sei es, sich zu einer Familienkonferenz zusammenzusetzen. Dabei geht es nicht um einen Vortrag oder ein Verhör der Eltern, sondern um Interesse am Kind. „Lassen Sie das Kind schildern, wie es zu der Straftat kam und wie es die Situation erlebt hat“, sagt Engel.
„Kinder unter 14 Jahren sind auf den Moment bezogen und bedenken die Konsequenzen nicht“, sagt Hoops. Die sollten die Eltern ihnen im Gespräch aufzeigen, nämlich, wie Instanzen wie Polizei und Justiz reagieren und dass man geradestehen muss für seine Taten — mindestens mit einer Entschuldigung.
Reicht das Taschengeld öfter nicht, überlegt man gemeinsam, woran das liegen könnte. „Vielleicht kann das Kind einen längeren Zeitraum noch nicht überblicken, dann zahlt man das Taschengeld statt monatlich besser wöchentlich““, rät Hoops. Oder die Kinder verdienen sich etwas dazu, etwa durch Babysitten oder andere kleine Jobs.
Bleibt es nicht bei einer Straftat oder nimmt das nächste Vergehen an Härte zu, sind Eltern mit ihrem Latein am Ende. Dann helfen zum Beispiel Erziehungsberatungsstellen oder das Jugendamt. Sabrina Hoops beruhigt: „Nur in sehr seltenen Fällen wird aus Dummheiten eine kriminelle Laufbahn.“