Frau + Mann + Frau = Liebe
Stuttgart (dpa) - Während die zweisame Liebe am Valentinstag (14. Februar) wieder überall umjubelt wird, finden andere Menschen ihr Glück in der Mehrsamkeit. Sie lieben zwei, drei, vier Partner parallel: Polyamore Beziehungen werden in Deutschland immer bekannter.
Wenn Michael ein paar Tage verreist, trifft sich seine Freundin mit anderen Männern. Danach ruft Elisabeth ihn an und erzählt, wie das Treffen war - und der Sex. Die beiden aus dem Raum Stuttgart leben polyamor, das heißt sie lieben mehrere Partner gleichzeitig. Damit passen sie nicht so recht ins oft konservativ geprägte Ländle. Weil die offene Lebens- und Liebesweise dort manchen aufstößt, wollen viele „Polys“, wie sie sich selber nennen, lieber anonym bleiben.
Der Begriff Polyamorie hat sich in den 1990er Jahren entwickelt. Zahlen für Deutschland gibt es nicht, sagt Christopher Gottwald vom Verein PolyAmores Netzwerk (PAN). „Polyamorie ist eine Philosophie, die auf Ehrlichkeit, Offenheit und Selbstverwirklichung basiert, eine Art Überbegriff für eine offene Lebensweise.“
Die Polyamoriegemeinde in den USA ist mit geschätzt mehreren 100 000 Mitgliedern deutlich größer als hierzulande. In Deutschland bildeten sich immer mehr Stammtische, sagt Gottwald. Jedoch fehle es noch an Toleranz, sagt Michael. „Die Leute verstehen es nicht. Normalerweise hintergeht man mit einer anderen Frau die eigene Partnerin, ein Seitensprung.“ Dabei basieren polyamore Verhältnisse auf Offenheit und Vertrauen: alle Beteiligten wissen von den anderen. Akzeptanz und Verständnis wie gegenüber der Schwulenbewegung gebe es in Deutschland im Bezug auf Polyamorie aber kaum, sagt der 67-Jährige. Daher bleiben die Polys meist unter sich.
Vor einem der monatlichen Treffen in Stuttgart beschreibt Maria, worum es ihr vor allem geht: „Ich wollte mich wieder als sinnliche Frau erfahren.“ Nach gut 20 Jahren Ehe, als die Kinder das Haus verließen, ihr Mann arbeiten war, habe sie gemerkt: „Ich bin alleine. Das will ich nicht, es ist Zeit, wieder nach mir selbst zu schauen.“
Ein 50-Jähriger, der sich den spirituellen Namen Ganesh gegeben hat, trennte sich vor einigen Jahren von seiner Frau und lebt seitdem polyamor. Er sagt: „Jeder Mensch spricht eine andere Schicht in mir an. Das ist Lebensfülle.“ Die Begeisterung nach den Treffen nehme er mit zu anderen Partnerinnen. „Das hat meine Ehefrau nie verstanden.“
Das unterschätzte Problem dieser Beziehungsform sei die Eifersucht, sagt der Heidelberger Paar- und Sexualtherapeut Ulrich Clement. „Die sexuelle Transparenz ohne eine Geheimhaltungspolitik wie bei Seitensprüngen gelingt deshalb nicht immer.“
Eifersucht spielt auch bei den Polys eine große Rolle. Wichtig sei dabei, die Gründe bei sich zu suchen, erklärt Michael. Maria formuliert: „Ich weiß, dass der andere zwar der Auslöser für meine Eifersucht ist, aber nicht der Grund.“ Sobald eifersüchtige Gefühle aufkommen, empfehlen sie, mit dem anderen darüber zu sprechen. Ein Vorteil der Polyamorie aus Sicht von Maria ist auch, dass sie mit anderen Männern über den Partner sprechen kann, mit dem sie ein Problem hat. „Die kennen ihn auch und wertschätzen ihn. Dann muss ich nicht wieder in die alten, typischen Beziehungsmuster fallen.“
Deutlich wird in dem Gespräch, dass es den Polys nicht um wildes Austoben geht. Zwar bezeichnet Michael die Beziehungen zu anderen Frauen als sexuelle Freundschaften. Diese Bekanntschaften sind aber keine One-Night-Stands, sondern langfristig angelegt.
„Polyamorie ist nicht gleichzusetzen mit der freien Liebe der 60er Jahre“, betont auch Paartherapeut Abbas Schirmohammadi aus Erding bei München. Es sei vielmehr ein „vom Denken gesteuertes Konzept“. Über Sorgen, Ängste, Wünsche und Bedürfnisse müsse man mit den Partnern wahnsinnig viel verhandeln. „Das macht nur Sinn, wenn man mit sich selbst im Reinen ist. Wer noch Minderwertigkeitskomplexe mit sich schleppt, kann das nicht.“
Kritisch könne Polyamorie nicht nur aus dem Blickwinkel der Kirche hinterfragt werden, sagt Schirmohammadi: „Ist es überhaupt möglich, mehreren Partnern hundertprozentige Liebe zu schenken? Oder wird das Konstrukt nur dafür genutzt, um offiziell fremdzugehen?“ Zudem seien polyamore Ehen nicht legal - „mit dem Thema wird sich die Politik auseinandersetzen müssen“. Eine Sorge räumt der Partnerschaftsexperte aber aus: Studien hätten nachgewiesen, dass Kinder, die in polyamoren Verhältnissen aufwachsen, nicht geschädigt würden.
Ist Polyamorie ein Beziehungsmodell der Zukunft? Michael sagt: „In Zweierbeziehungen schläft die Sexualität bald ein.“ Das führe dazu, dass viele Menschen ihre Partner nach und nach wechseln, sogenannte serielle Monogamie. Gottwald meint: „Polyamorie ist eigentlich die ehrliche Variante dazu.“