Kindheit: Wenn Freizeit zum Stress wird
Zu viele Aktivitäten können bei Kindern und Jugendlichen zu ernsten Beschwerden führen.
Düsseldorf. Montags Fußball, dienstags Geigenunterricht, mittwochs Fußball, donnerstags Pfadfinder, freitags Tennis. Samstags meistens Fußballspiele und sonntags oft Turniere. Wenn Jonas Herrmann (13) seine Freunde treffen wollte, musste der Gymnasiast das schon genau planen. Weil deren Terminkalender ähnlich voll ist, wurde es mit der Freizeitplanung zuweilen recht schwierig.
Auch zuhause gab es immer häufiger Krach, weil Jonas und sein Bruder Tom Herrmann (11) sich nur noch stritten. "Als ich mir unseren Familienplaner ansah, war mir klar, dass die beiden kaum noch Zeit gemeinsam verbringen konnten, weil entweder der eine oder der andere unterwegs war", erinnerte sich Carmen Herrmann. Die Mutter zog die Notbremse, und am Familientisch wurde schließlich beschlossen, dass es zukünftig in der Woche zwei freie Nachmittage gibt.
Dass viele Kinder einen Terminkalender haben, der Firmenchefs nervös machen würde, beklagen auch immer mehr Experten. "Es fängt häufig schon mit drei Jahren an, dass die Eltern glauben, im Kindergarten wird ihr Kind nicht genug gefördert und sich um Englisch, Sport oder andere Angebote kümmern", sagt die Kinderpsychologin Bettina Müller.
Spielen, einfach mal abhängen, nichts tun - das ist bei Kindern und Jugendlichen kaum noch drin. Der Grund für die Hektik: Die Kinder sollen fit sein für die Leistungsgesellschaft. Und dabei nehmen es offenbar viele Eltern zu genau.
"Die Kinder sind es von der Grundschulzeit her gewohnt, viele Aktivitäten wahrzunehmen. Der Schulbesuch an den weiterführenden Schulen ist schon ein richtiger Beruf geworden, die Freizeit wird knapp. So kommen Kinder schnell an die physische und psychische Leistungsgrenze", glaubt der Kinder- und Jugendpsychologe Jan Fröhlich.
Dabei sei es allerdings auch nicht förderlich, dass viele Freizeitbeschäftigungen eine zeitraubende Eigendynamik entwickeln. Um im Sportverein oben mitmischen zu können, genügt kaum noch ein Trainingstermin pro Woche. Im Gegenteil, meist sind auch noch die Wochenenden mit landesweiten Wettbewerben oder Saisonspielen verplant. So entsteht schnell eine Tyrannei der Termine, von der die ganze Familie betroffen ist.
Wer mit wem wohin fährt, muss genau geplant werden. Dass die Gemeinsamkeit häufig auf der Strecke bleibt, versteht sich von selbst. Hinzu kommen psychosomatische Beschwerden wie Unruhe und Schlaflosigkeit, unter denen immer mehr Kinder leiden. Immer häufiger ist auch bei Kindern und Jugendlichen von Burnout die Rede.
Kinderpsychologin Bettina Müller weiß: "Nicht jedes Kind sagt, wenn es überlastet ist. Kinder wollen es ihren Eltern ja auch recht machen und sagen nur selten: Das ist mir zuviel, das will ich nicht".
Der Autor Carl Honoré rät Eltern und Kindern daher zu mehr Gelassenheit. "Kinder unter Druck" heißt sein Buch, in dem er die Folgen übervoller Terminkalender bei Kindern und Jugendlichen beklagt. Der Vater zweier Kinder macht Eltern Mut, sich selbst und ihren Kindern zu mehr freier Zeit zu verhelfen. Am Familientisch zu besprechen, welches Freizeitprogramm sinnvoll ist, ist ein erster Schritt.