Babys lernen die Gebärdensprache
Die Kurse für Kleinkinder boomen. Eltern erhoffen sich mehr Kommunikation mit dem Nachwuchs.
Leipzig. Jonathan spreizt die Finger auseinander. "Ja, ich habe das Licht angeschaltet", sagt seine Mutter und spreizt ebenfalls die Finger. Jonathan lauscht und macht eine flatternde Handbewegung. "Er hört die Amsel draußen zwitschern", erklärt seine Mutter und geht mit ihrem elf Monate alten Sohn zum Fenster. Jonathan beguckt den Vogel und freut sich. Reden kann er noch nicht. Sich verständigen schon. Er hat einen der Kurse für Babyzeichensprache besucht, die in immer mehr Städten angeboten werden.
"Im englischen Sprachraum sind die Kurse schon seit Jahren sehr verbreitet, in Skandinavien auch", sagt Vivian König, Gründerin des Unternehmens Zwergensprache aus Markranstädt bei Leipzig. Etwa 75 Gebärden werden in ihren zwölfwöchigen Kursen vermittelt, mitmachen dürfen Babys ab sechs Monaten. Das Interesse ist groß. "Das ist absolut im Wachsen begriffen", sagt auch Wiebke Gericke, Gründerin von babySignal, einem weiteren Anbieter für Baby-Gebärdensprachkurse aus Hamburg.
"Die Gebärden sind ein Fenster ins Denken der Kinder", sagt Gericke. Vivian König erzählt von einem Baby, dass einen schwarz-weiß gekleideten Mann kurzerhand als Pinguin bezeichnete und für die grün gezackte Palme im Kinderbuch das Zeichen für Krokodil verwendete. "Da merkt man erst mal, was für Gedanken sich Babys machen."
Wenn andere das erste "Mama" oder "Papa" plappern, hätten gebärdende Kinder mitunter schon einen Wortschatz von 20 oder mehr Begriffen. "An und Aus, Hund, noch mal - Die Gebärde dafür kann Monate vor dem entsprechenden Wort kommen", erläutert Gericke. "Es gibt viel weniger Situationen, in denen die Kinder frustriert sind, weil Mama mal wieder nicht verstanden hat, was gewollt oder gemeint war", ergänzt König.
Die Begeisterung für bestimmte Begriffe ist bei Eltern und Babys jedoch unterschiedlich verteilt: "Eltern finden die Gebärden für Essen, Trinken, Schlafen spannend", sagt Gericke. Die Kleinen gerieten eher bei "Licht an", Tieren und dem "Weg"-Zeichen für verschwundene Dinge aus dem Häuschen.
Auf ihrer Seite wirbt Vivian König mit Verweis auf US-Studien damit, dass die Babyzeichensprache Hirnentwicklung und Spracherwerb fördere. Das allerdings finden Wissenschaftler zu forsch formuliert. "Der Stand der Forschung ist: Man weiß es nicht", sagt die Psychologin Mechthild Kiegelmann von der Universität Trier, die Untersuchungen zur Babyzeichensprache leitet.
Zwar gebe es eine ältere Studie, die positive Effekte auf das Sprechenlernen zeigte. "Da wurde aber nicht über moderne Programme geforscht, sondern einige Eltern wurden aufgefordert, mit ihren Kindern über selbst erfundene Gesten zu kommunizieren.
Sie selbst sei "vorsichtig optimistisch", dass der Spracherwerb durch die Gebärden begünstigt werden kann, sagt die Psychologin. In der Sonderpädagogik zum Beispiel habe es sich als hilfreich erwiesen, die Lautsprache Behinderter mit Gebärden zu fördern. "Dass mit Baby Signing die Welt verändert wird, glaube ich nicht. Aber es gibt vielleicht einen kurzen Spracherwerbs-Vorteil für gebärdende Kinder, der sich später wieder verwächst."
Das Argument einiger Kritiker, die Kinder würden mit den Babyzeichensprache-Kursen überfordert, hält Kiegelmann für falsch. Überforderung resultiere nicht aus einem bestimmten Kurs, sondern aus dem Verhalten der Eltern. "Extrem bildungseuphorische Eltern übertreiben alles, auch Babyschwimmen", sagt sie. Wiebke Gericke und Vivian König betonen, dass ihre Kurse kein Lernprogramm sind. "Es geht nicht darum, Vokabeln zu büffeln", sagt Gericke. Es gehe vielmehr um Aufmerksamkeit füreinander. "Kinder wollen informiert werden."