Manche lässt die Trauer nach einer Abtreibung nicht los

Hamburg (dpa/tmn) - Rund 110 000 Abtreibungen gibt es jedes Jahr in Deutschland. Die meisten Frauen trauern einige Wochen um das ungeborene Kind. Einige bekommen auch Depressionen. Ändern lässt sich die Entscheidung nicht.

Aber die Frauen können lernen, damit zu leben.

Manchmal ist die Angst vor der Verantwortung zu groß oder die Angst, dass das Geld nicht reicht. Manchmal sind es auch Fehlbildungen des Ungeborenen, die werdende Mütter abtreiben lässt. Nach aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts gab es 2012 106 800 Schwangerschaftsabbrüche. Im Vergleich zum Vorjahr waren das 1,9 Prozent weniger. Knapp drei Viertel der Frauen, die im vergangenen Jahr abtrieben, waren zwischen 18 und 34 Jahren alt.

Die meisten Frauen verarbeiten den Eingriff in wenigen Tagen oder Wochen. Doch bei manchen, die abgetrieben haben, verschwindet die Trauer nicht. Sie leiden unter Depressionen, Schlafstörungen, Ängsten und sehnen sich nach dem Kind, das sie nicht zur Welt gebracht haben. Sie fragen sich, was aus ihm geworden wäre, ob sie sich nicht doch anders hätten entscheiden sollen. Ändern können sie die Entscheidung nicht - aber sie können damit leben lernen.

Claudia Wellbrock war 18 Jahre alt, als sie während einer Affäre schwanger wurde. Die junge Frau hatte gerade eine Gesangsausbildung begonnen, traute sich das Leben alleine mit Kind nicht zu. Damals in der DDR, vor 28 Jahren, waren Abtreibungen erlaubt. „Was erlaubt ist, kann ja nicht schlimm sein“, dachte Wellbrock damals. Der Arzt sagte ihr, es sei nur ein Gewebeklumpen. Nach dem Eingriff lag die junge Frau in einem Zimmer mit sieben jungen Müttern und sah eine Woche lang, was aus dem Gewebeklumpen geworden wäre. Dann lief ihr Leben weiter zwischen Arbeit, Ausbildung und Ablenkung. „Aber sobald ich alleine war, war das Kind da“, sagt Wellbrock.

Dass Frauen nach einer Abtreibung so schwere psychische Probleme haben, dass sie etwa an Selbstmord denken, ist selten. Depressionen, Schuldgefühle oder Schlafstörungen treten dagegen häufiger auf und werden unter dem Begriff Post-Abortion-Syndrom (PAS) zusammengefasst. Allerdings ist das PAS unter Medizinern nicht allgemein als psychische Störung anerkannt. So gibt es auch kaum aussagekräftige Studien darüber, wie viele Frauen tatsächlich unter psychischen Problemen wegen eines Schwangerschaftsabbruchs leiden. „Unseren Erfahrungen nach sind bei 90 Prozent der betroffenen Frauen keine psychischen Probleme zu erwarten“, sagt Marina Knopf vom Familienplanungszentrum in Hamburg. Die Psychologin berät seit 23 Jahren Frauen, die über eine Abtreibung nachdenken.

Auch diese 90 Prozent seien nach einer Abtreibung manchmal natürlich traurig, betont Knopf. Nach einigen Wochen ist die Trauer aber überwunden. Problematisch wird es, wenn die Trauer nicht verschwindet - wie bei Wellbrock. „Frauen unterschätzen oft vor einem Abbruch, dass die Welt danach anders aussieht“, betont Almut Dorn. Als Psychotherapeutin berät sie Frauen, die nach einem Schwangerschaftsabbruch nicht mehr klarkommen.

Wie sehr eine Frau unter einer Abtreibung leidet, liegt vor allem am Abtreibungsgrund. Konnte sich die werdende Mutter frei für die Abtreibung entscheiden, ohne Druck von Partner, Familie oder Geldbeutel, ist die Gefahr psychischer Probleme geringer. Wenn der Partner zum Abbruch drängt, die Angst vor Armut zu groß oder das Ungeborene schwer behindert ist, führt eine Abtreibung bei der Frau eher zu psychischen Problemen. Bei Frauen, die spät abtreiben, ist die Gefahr für psychische Probleme tendenziell größer als bei Frauen, die früh abtreiben. Späte Abbrüche sind in Deutschland nur aus medizinischen Gründen erlaubt. In solchen Fällen hat die Frau das Kind schon als ihres angenommen - und verliert es wieder.

„Das Gefühl, ich hätte jetzt ein Kind, lässt sie nicht mehr los“, sagt Therapeutin Dorn. Sie kennt viele Frauen, die immer wieder nachrechnen, wie alt ihr Kind jetzt wäre. „Aber den Abbruch kann man nicht rückgängig machen“, sagt Dorn. Die Erfahrung muss jede Frau in ihr Leben integrieren. Bei frühen Schwangerschaftsabbrüchen steht dabei die Reflexion der Schuldgefühle im Vordergrund. „Da hilft es, sich die Situation noch einmal genau anzuschauen, um Verständnis für sich selbst zu bekommen“, erklärt Beraterin Knopf.

Sie geht gedanklich mit den Frauen zurück zu dem Moment der Entscheidung. Auch Trauerarbeit kann den Schmerz lindern. Dorn sucht dann mit den Frauen nach Trauerritualen und Erinnerungen an das Ungeborene. Doch die Frau muss auch Wut zulassen können, die letztendlich in Verständnis und Akzeptanz für sich selbst und die eigene Entscheidung münden sollte.

Wellbrock hat vor allem unter Schuldgefühlen gelitten. Heute hat sie fünf erwachsene Kinder. Doch um ihr erstes - nie geborenes - Kind trauert sie noch immer. Nun geht Wellbrock für den Verein Rahel e.V. in Schulen und erzählt ihre Geschichte. „Ich stell mich nicht hin und sage, ihr dürft das nicht machen“, betont sie, „ich will nur, dass die Jugendlichen verantwortungsvoll mit ihrer Sexualität umgehen.“