Noch mal in die weite Welt: Au-pair im Alter
Hamburg/Berlin (dpa/tmn) - Es sind Frauen, die sich einen Traum noch erfüllen wollen: Au-pairs jenseits der 50. Spezielle Agenturen helfen bei der Vermittlung. Wer den Auslandsaufenthalt nicht mit Erwartungen überfrachtet, sammelt neue Erfahrungen im fremden Umfeld.
Ihr halbes Leben ist Embjörg Elster als Chefstewardess durch die Welt gereist. Irgendwann hatte sie genug und kaufte sich in der Fränkischen Schweiz ein altes Häuschen. „Aber die Winter hier sind sehr lang und kalt“, erzählt die 60-Jährige. Also suchte sie sich eine vorübergehende Beschäftigung in wärmeren Gefilden - und ging für einen Monat als Au-pair nach Jordanien, wenig später lebte sie fünf Monate bei einer Familie mit vier Kindern in Hamburg.
Dabei hat ihr die Hamburgerin Michaela Hansen mit ihrer „Granny-Aupair“-Agentur geholfen. Seit gut einem Jahr vermittelt sie Frauen jenseits der 50 in andere Familien. „Das war eine Blitzidee“, sagt die 49-Jährige. Und ihr Erfolg gibt ihr Recht, denn vor Nachfragen von beiden Seiten kann sie sich kaum retten. Dabei ist Granny Aupair eine reine Kontaktvermittlung. Dafür fallen bei der Anmeldung 35 Euro an, bei erfolgreicher Vermittlung kommen 250 Euro hinzu. „Die Konditionen des Aufenthaltes, wie Arbeitszeiten, Taschengeld, Aufgaben und eventuell die Übernahme der Reisekosten, regeln die Frauen selbst mit den Familien“, erklärt Hansen.
Auf die Konditionen kommt es bei dem Abenteuer im Alter ebenso an, wie auf eine realistische Einschätzung der Au-pair-Zeit. „Entscheidend ist, was man sich selbst von dieser Zeit verspricht“ sagt die Soziologin und Gerontologin Dörte Naumann vom Deutschen Zentrum für Altersfragen (dza) in Berlin. Denn natürlich erfahre man nicht jeden Tag höchste Wertschätzung für seine Arbeit, werde vielleicht auch mal als reine Arbeitskraft und nicht als Familienmitglied angesehen. Zudem müsse man sehr flexibel und tolerant sein.
Als zusätzliche Herausforderung sieht Naumann, dass es für ältere Au-pairs an ihrem neuen Einsatzort nicht so viele Netzwerke wie für Jüngere gibt. „Da ist es schon schwieriger Kontakte zu schließen, aber natürlich durchaus möglich“, sagt sie. Für die meisten Freizeitaktivitäten ist Geld nötig, das man im besten Fall mitbringt - auch wenn die meisten Familien ein Taschengeld zahlen. „Dann kann man in seiner Freizeit Sprachkurse oder ähnliches machen.“
Wichtig ist auch, sich klarzumachen, dass man in der Familie völlig neue und möglicherweise andere Strukturen befolgen muss. „In der Hamburger Familie musste ich mich vor allem an diesen enormen Lärmpegel mit vier Kindern gewöhnen“, erinnert sich Embjörg Elster. Viel Privatsphäre habe sie da nicht gehabt.
Für die 60-Jährige gilt als wichtigste Voraussetzung, dass man mit seinem Leben zufrieden ist. „So eine Au-pair-Zeit sollte keine Flucht sein“, erklärt sie. Dem stimmt auch Gerontologin Naumann zu: „Man darf nicht erwarten, dass man automatisch als Ersatz-Oma akzeptiert wird und hoffen, dass man in der Familie wieder das Gefühl vom Gebrauchtwerden erfährt“, warnt sie. Eine solche Auszeit vom Alltag dürfe nicht zu sehr als Kompensation betrachtet werden.
Die Au-Pair-Zeit im Alter könne aber ein großer Gewinn sein - solange man sich die möglichen negativen Seiten bewusst macht und bereit ist, sie zu akzeptieren. Auch Michaela Hansen räumt ein, dass ein Aufenthalt in einer fremden Familie immer schief gehen kann. Mut, Toleranz und auch ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein gehörten dazu. „Dann ist so eine Zeit wirklich die Chance, wieder einen Moment der Freiheit zu erleben, sich jenseits der etablierten Routine zu bewegen“, sagt Dörte Naumann. Die Zeit als Au-pair trage zum persönlichen Wachstum bei, das schließlich mit 50 oder 60 längst nicht abgeschlossen ist.
„Die meisten Menschen haben noch ein Viertel ihres Lebens vor sich, wenn sie in Rente gehen“, sagt auch die Geriatrie-Professorin und Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO), Ursula Lehr. Da komme bei vielen älteren Menschen der Wunsch auf, sich nützlich zu machen. „Zwar gibt es auch vor der eigenen Tür viele ehrenamtliche Möglichkeiten oder etwa den Seniorenexperten-Service, für den man eine berufliche Qualifikation mitbringen muss“, sagt Lehr. Das Au-pair sei aber vor allem für Frauen eine gute Alternative, die ihren Beruf beispielsweise mit der Heirat aufgegeben hätten.
Überhaupt plädiert die BAGSO-Vorsitzende für ein Denken fernab von Altersgrenzen und verweist auf die Niederlande: „Da gibt es viele ausländische Au-pairs, die ältere Menschen betreuen. Oft erfahren sie durch und mit den Älteren sehr viel von der Kultur des Gastlandes.“ Gleiches gelte für Granny-Au-pairs: „Sie dürfen sich nur nicht als Putzhilfe missbrauchen lassen.“ Aber soviel Selbstbewusstsein und Durchsetzungskraft bringen die Frauen, die sich auf ein solches Abenteuer einlassen, in der Regel mit. Schließlich haben sie oft mehr als ein halbes Leben und eine Familie gemeistert.