Der Supermarkt macht Hausbesuch

Köln/Mülheim (dpa) - Schwappt der Online-Boom von Mode und Medien auch auf Milch und Mineralwasser über? Ermutigt von Beispielen aus dem Ausland bauen Online-Supermärkte in Deutschland auf klick-freudige Kunden.

Der Milchmann und der Bäcker machten es einst vor: Lebensmittel dem Konsumenten an die Haustür liefern. Während dieser Service nur noch selten angeboten wird, versuchen große und kleine Lebensmittelhändler in die Bresche zu springen. Denn nicht jeder Verbraucher hat Zeit, sich beim Einkaufen im Laden verführen zu lassen. In Ballungszentren reicht der Mausklick bei einigen großen Anbietern schon bis zu Salat und Hackfleisch. Rewe und Tengelmann liefern sich in einigen Städten einen Wettlauf um Online-Kunden. Gern wollen die Anbieter den umsatzstarken Wochenendeinkauf übernehmen. Die Deutschen sind aber deutlich zurückhaltender als ihre Nachbarn.

In Frankreich lockt bereits an 2000 Supermärkten ein „Drive in“, die nach Daten von Planet Retail 2012 zwei Milliarden Euro Umsatz erzielten. „"Drive in" ist eigentlich wahnsinnig einfach: Man fährt zum Supermarkt, macht den Kofferraum auf, braucht nicht einmal mehr auszusteigen und bekommt die Einkäufe ins Auto gepackt“, schildert Rewe-Chef Alain Caparros. In London drehen dagegen Lieferwagen der Supermarktriesen ihre Runden. „In Großbritannien wird schon drei Prozent des gesamten Lebensmittelumsatzes online abgewickelt“, sagt Planet-Retail-Analyst Joachim Pinhammer. In Deutschland dürfte der Online-Anteil am Lebensmittelumsatz nur im Promille-Bereich liegen.

Paket, Lieferservice, „Drive in“ - im Online-Lebensmittelhandel gibt es verschiedene Geschäftsmodelle. „Die Anforderungen an die Logistik sind häufig groß“, sagt Trendforscher Marco Atzberger vom Handelsinstitut EHI. Um Ware zu kühlen, kämen bei Lieferdiensten spezielle Fahrzeuge oder Boxen zum Einsatz. „Ganz wichtig ist auch die Steuerung der Zeitfenster: Wer möchte am liebsten wann welche Ware haben.“ Die Unternehmen müssten einen langen Atem haben, der Weg zur Gewinnzone sei meist lang. „Die Konzepte fangen erst an, zu funktionieren.“ Einzelne Online-Supermärkte ohne einen starken Kapitalgeber seien bereits wieder von der Bildfläche verschwunden.

„Wir haben keine ausgeprägte Tradition, uns Lebensmittel liefern zu lassen“, erläutert Atzberger. Als Hauptgrund für die schwache Internet-Nachfrage sehen Fachleute wie Händler aber die hohe Ladendichte. Hinzu kommen geringe Margen im hartumkämpften deutschen Markt. Deshalb lägen die Hürden hier höher, Lieferdienste profitabel betreiben zu können, meint Pinhammer. „Das ist ein sehr, sehr schwieriges Geschäft und kann sehr schnell sehr, sehr hohe Verluste produzieren“, sagt Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub. Kaiser's Tengelmann betreibe seinen Bringmeister- Lieferservice dank über zehn Jahren Erfahrung ohne riesige Verluste.

Berufstätigen bleibt oft wenig Zeit, ihren Kühlschrank zu füllen. Die GfK stellte in einer Studie jüngst fest, dass der „tägliche“ Einkauf ein Fall für's Wochenende werde. „Den typischen Nutzer des Lebensmittel-Lieferservice gibt es nicht“, heißt es bei Kaiser's Tengelmann. Zur Kundschaft gehörten Mütter, Studenten und ältere Kunden. „Natürlich ist das noch ein kleiner Umsatzbeitrag, aber er wächst stetig im unteren zweistelligen Bereich“, umschreibt Tengelmann-Chef Haub das Ausmaß des Online-Geschäftes bei seiner Supermarktkette.

„Man muss einfach in den sauren Apfel beißen und den schwierigsten Part übernehmen“, sagte der Gründer und Geschäftsführer von food.de, Karsten Schaal, im Juni auf einem EHI-Kongress in Köln. Der Anfang liege vielleicht in einer Lieferung im fünften Stock, irgendwann sei man auch in der ersten Etage, weil Anwohner auf den Lieferservice aufmerksam werden. Es sei erst einmal wahnsinnig schwierig, einen Kunden zu finden. Mehr als jeder dritte Kunde bestelle aber in absehbarer Zeit wieder. „Wir sehen den Wochenendeinkauf als Ziel“, sagt der Food.de-Chef. Die Marke 100 Euro sei keine Schallmauer. Bei besser verdienenden Familien gehe der Einkauf auch weit darüber.

„Für uns war es eine große Überraschung, wie hoch der Durchschnittsbon ist. Er ist um ein x-faches höher als an der Kasse im Supermarkt“, schildert auch Rewe-Chef Caparros. Allerdings ist keine schnelle Expansion des Rewe-Lieferservices geplant, der derzeit in sechs Gebieten angeboten wird. „Wir sind in einem Lernprozess. Der Fahrer ist im Endeffekt unsere Visitenkarte. Er muss vielleicht in der zweiten Reihe parken oder die Sachen in das dritte Obergeschoss tragen. Er muss dazu noch nett sein, und und und“, zählt Caparros auf. Es gelte zunächst erst einmal „die Lieferqualität dauerhaft auf höchstem Niveau“ zu halten. Sonst könnte ein Imageschaden drohen.

Auch die Deutsche Post DHL sieht Potenzial, wie auf dem EHI- Kongress deutlich wurde. Sie bringt ihr Paketnetz ins Spiel und hat im Oktober die Mehrheit am Onlinehändler Allyouneed.com übernommen. Zudem bietet Deutsche Post DHL in Köln einen Feierabend-Lieferdienst an. Auch „Drive in“ an Supermärkten gibt es schon. Rewe hat Abholstationen für Online-Bestellungen bisher an 13 Märkten. Real testet „Drive in“ seit mehr als zwei Jahren an zwei Standorten.