Kein Buch mit sieben Siegeln: Worauf es bei Bilanzen ankommt
Siegburg (dpa/tmn) - Um Unternehmensbilanzen zu verstehen, müssen Anleger kein BWL studieren. Auch interessierte Laien können sich mit etwas Sachkunde selbst über ihre Geldanlage informieren. Alles, was dafür nötig ist, sind einige Kennzahlen - und ein Taschenrechner.
Lohnt es sich, die Aktien eines Unternehmens zu kaufen? Oder ist das Papier überbewertet? Ein Blick in die Unternehmensbilanz kann helfen, solche Fragen zu klären. Das Zahlenwerk muss für Laien keineswegs ein Buch mit sieben Siegeln sein: „Eine Bilanz zu lesen, ist keine Kunst, sondern Handwerk“, sagt der Autor Raymund Krauleidis aus Siegburg, der den Ratgeber „Bilanzen erstellen und lesen für Dummies“ mitverfasst hat.
„Die meisten Unternehmen veröffentlichen ihre Bilanzen mittlerweile auch im Internet“, sagt Krauleidis. Die Bilanz sei zudem ein Pflichtteil des Jahresabschlusses eines Unternehmens. „Die wichtigsten Bestandteile des Jahresabschlusses sind die Bilanz, die Gewinn- und Verlustrechnung und der Lagebericht“, sagt Prof. Waldemar Pelz, der an der Technischen Hochschule Mittelhessen in Gießen Internationales Management lehrt. Um eine Firma zu bewerten, sollten immer alle drei Teile betrachtet werden.
„Der Aufbau einer Bilanz ist gesetzlich vorgegeben“, erklärt Krauleidis. Auf diese Weise werden unterschiedliche Betriebe vergleichbar. Jede Unternehmensbilanz beinhaltet Aktiva und Passiva: „Auf der Aktivseite steht grob gesagt alles, was ein Unternehmen besitzt - also die Vermögenswerte vom Bürostuhl bis zum Aktienbesitz. Auf der anderen Seite steht, wie das Ganze finanziert wird, also wo die Mittel herkommen.“ Eine Bilanz ist nur dann korrekt, wenn unterm Strich auf der Aktiv- und auf der Passivseite dasselbe steht.
Doch worauf kommt es beim Lesen einer Bilanz an? „Ich empfehle, immer zuerst auf die Veränderungen im Vergleich zum Vorjahr zu achten“, sagt Unternehmensberater Jochen Treuz aus Weinheim. „Als nächstes sollte man im Lagebericht nachsehen, warum sich etwas verändert hat.“ Welcher Bereich hat sich besonders positiv oder negativ entwickelt? Einige Posten sollten immer genauer unter die Lupe genommen werden:
Firmenkapital: Eine Kennzahl zur Bewertung eines Unternehmens ist die Eigenkapitalquote. Sie beschreibt den Anteil der eigenen Mittel am gesamten Betriebsvermögen. „Generell gilt, je mehr Eigenkapital eine Firma hat, umso besser“, sagt Krauleidis.
Schulden:Schlecht für die Wettbewerbsfähigkeit ist es, wenn das Unternehmen hohe Schulden drücken. Die Verschuldungsquote wird errechnet, indem das Fremdkapital der Firma, also das geliehene Geld, durch ihr Eigenkapital geteilt wird.
Gewinn: Ein Anleger sollte sich auch die Gewinn- und Verlustrechnung ansehen, rät Prof. Pelz: „Eine relativ unverfälschte Kennzahl ist das EBITDA, also der Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen.“ Beim EBITDA werden vom Umsatz im Wesentlichen nur Material- und Personalkosten abgezogen.
Liquidität:„Mit dieser Kennzahl wird ausgedrückt, wie flüssig ein Unternehmen ist“, sagt Krauleidis. Ablesen lässt sich die Liquidität aus der linken Spalte der Bilanz, den Aktiva. Da Grundstücke und Maschinen nur schwer in Zahlungsmittel umzuwandeln sind, berechnet man meist die Liquidität ersten Grades: Dafür werden die verfügbaren Barbestände und Bankguthaben durch die kurzfristig fälligen Verbindlichkeiten geteilt.
Mittel für Investitionen: Treuz empfiehlt zudem auf die Cashflow-Rate zu achten, also den Mittelzuwachs im Verhältnis zum Umsatz. „Der operative Cashflow sagt aus, wie viel das Unternehmen investieren kann, ohne einen Kredit bei der Bank aufzunehmen.“ Die Cashflow-Rate könne man vergleichen mit der Sparrate bei Privathaushalten: Wie viel Prozent des Einkommens werden jedes Jahr beiseitegelegt und stehen für Investitionen zur Verfügung?
Die Aussagekraft einer Bilanz hat jedoch auch Grenzen: „Traue keiner Bilanz, die du nicht selbst gefälscht hast“, sagt Prof. Pelz. Ein Jahresabschluss werde nach bestimmten Regeln für die Öffentlichkeit erstellt, die Realität sehe jedoch mitunter ganz anders aus. Pelz empfiehlt daher, auch das Kleingedruckte zu lesen: „Wir arbeiten unter Hochdruck an der Entwicklung neuer Produkte, bedeutet im Klartext: Das Unternehmen hat Probleme mit Innovationen.“
Literatur:
Raymund Krauleidis, Michael Griga: „Bilanzen erstellen und lesen für Dummies“, Wiley-VCH 2010, 400 Seiten, 24,95 Euro, ISBN-13: 978-3-52770-475-0